„Jetzt nehmen sie doch die Maske ab! Ich sterbe ja sowieso.“

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Das ist mal eine klare Ansage, wie ich finde. Zugegebenermaßen etwas verlockend, denn die kratzige Maske nervt. Auch erschwert sie mir meinen Vortrag, denn ich bin gerade dabei, einer meiner liebsten Weihnachtsgeschichten zum Besten zu geben. Mit kräftiger Stimme manövriere ich mich durch die humorvolle Erzählung und kämpfe mit einer gewissen Mundtrockenheit, hervorgerufen durch die laute Plärrerei.

Es ginge normalerweise etwas gefühlvoller und in feiner Erzählstimme.

In Zeiten von Corona muss ich mir aber anders behelfen und etwas mehr Druck geben, damit mein ohnehin etwas schwerhöriges Gegenüber wenigstens ein klein wenig Weihnachtsstimmung erhaschen kann. Irgendwie komme ich mir auch ziemlich blöd vor, weil ich meine Begleitung so „anschreien“ muss und mehr mit den Händen gestikuliere als sonst.

Aber es hilft ja nichts…

Zugegeben, es strengt mich an, aber nachdem ich aktuell auf der Bühne meine Phonetik nicht anwenden kann, sehe ich es als gewisse Übung. Ok, ich rede es mir gerade schön zugegeben, aber es tröstet mich darüber hinweg, dass ich mit halbverdecktem Gesicht und im Brüllmodus einem kranken Menschen gegenübersitze, dessen Weihnachten wohl das Letzte sein wird.

Trotzdem behält sie ihren feinen Humor und beschwert sich lächelnd:“ Dieser Coronavirus ist das erste „Made in China Zeug“, dass nicht nach drei Wochen kaputt geht. Wissen Sie, es macht mir wirklich nichts aus, wenn Sie keine Maske aufhaben. Jetzt tun Sie doch das Ding runter.“

Jetzt bin ich in der Zwickmühle!

„Es gibt aber eine Maskenpflicht und die möchte ich auf jeden Fall einhalten. Außerdem möchte ich Sie nicht unwissentlich anstecken und in Gefahr bringen, an diesem Virus zu erkranken. Deswegen ist es mir lieber, den Mund-Nasen-Schutz zu tragen.“ Meine Verteidigung findet wenig Anklang. „Aber Frau Frey, es ist doch egal, woran ich sterbe. Viel Zeit bleibt mir eh nicht mehr. Dann ist es eben der Virus, oder?“

Grundsätzlich versuche ich gute Laune zu verbreiten, keine Angst zu machen, meine Begleitungen zu unterstützen und keine großen Diskussionen vom Zaun zu brechen.

Dieses Mal muss ich aber über meinen Schatten springen und meine liebe alte Dame, sie ist 89, eines Besseren belehren.

„Ich habe großen Respekt vor dem Leben und ich wünsche Ihnen und mir einen ruhigen und würdevollen Tod. Vielleicht dürfen wir ja friedlich in unserem Bett einschlafen, ohne große Schmerzen und Qual. Es könnte auch sein, dass sich der Sterbeprozess, so wie er normalerweise stattfindet, etwas hinauszögert und wir unsere liebsten Menschen händchenhaltend verabschieden. Voller Liebe und Nähe, mit guten Wünschen und zärtlichen letzten Worten. Wenn es schon sein muss, dann wünsche ich mir das.“

Sie sieht mich mit großen Augen an.

„Aber wenn Sie an diesem Virus erkranken, dann sterben Sie isoliert, ohne Kontakt mit anderen, umgeben von einem fremden Pflegepersonal, dessen Gesicht Sie nie sehen werden. Eine grausame Atemnot zwingt Sie an einem Apparat, der Ihre Sauerstoffzufuhr regelt und sie bäuchlings vermutlich als einer der Letzten Dinge in Ihrem Leben, den sterilen Klinikboden sehen.

Das wünsche ich Ihnen, mir und sonst niemanden. Und genau deswegen werde ich die Maske nicht abnehmen!“

…mit der Lizenz zum Händchenhalten

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„Jeder Tag ohne Zettel am Zeh, ist ein guter Tag.“ So die Antwort auf meine Frage, wie er sich denn heute fühlt. Er hat Humor. Hoffentlich. Und ich keine Ahnung. Also, keine Ahnung wie er tickt, was er denkt und wie er aussieht. Er, das ist Herr Berger, meine neue Begleitung.

Wir hatten einen unglücklichen Start, weil mir so ein verdammter, kleiner Virus dazwischengefunkt hat.

Geplant war, dass ich ihn besuche, dabei seine Frau kennenlerne und mir ein Bild von ihm machen kann, wie sein gesundheitlicher Zustand ist. Ich weiß nur, dass er zum Sterben nach Hause kommen wollte und sich Begleitung vom Hospizverein wünscht.

Dann die Ausgangssperre und das Besuchsverbot. Unser erstes Date konnte nicht stattfinden. Aber telefonisch wollte ich mich wenigstens einbringen, unterschätzte aber, dass ich am Telefon nicht das über mein Gegenüber erfahren konnte, was mir in einer Begleitung so wichtig ist.

Als Hospizhelferin im ambulanten Einsatz habe ich mir schon fast so etwas wie kriminalistische Fähigkeiten angeeignet. Ich versuche mir ein klares Bild zu von meinem Umfeld zu verschaffen. Ähnlich wie bei einer Tatortbesichtigung schaue ich mich in einem Krankenzimmer genau um. Nicht nach Staubmäusen oder ungewaschenen Gardinen. Das ist mir echt egal. Auch interessiert es mich überhaupt nicht, welche Möbel bevorzugt werden und ich bewerte auch nicht die Blümchentapete. Vielmehr ist es für mich wichtig, Merkmale zu finden, die mir die Kommunikation erleichtern. Familienbilder, Urkunden, Pokale oder auch technische Details, helfen mir ins Gespräch zu kommen. Wenn da eine Meisterurkunde von der Metzgerinnung hängt, macht es vermutlich wenig Sinn, eine Debatte über Veganer anzuregen. Bei einer anderen Begleitung empfing mich ein Hinweisschild mit dem Spruch: Ich vertraue auf die heilsame Kraft von: “Scheiß drauf!“ Das war mal ein klares Statement! Oder auch ein Teamfoto vom 1. FC Bayern gibt mir ganz klare Anweisungen… Weiß-blau ist kein Thema!

Jetzt wird’s schwierig.

Bei Herrn Berger bleibt mir nur an der Stimmlage und an der Wortwahl zu erkennen, wo die Reise hingeht. Nicht so einfach.

Mit meinem ersten Anruf brachte ich zum Ausdruck, dass es bedauere, dass wir uns zunächst nur am Telefon kennenlernen und unser persönlicher Termin nicht zustande gekommen ist.

„Das macht doch nichts Frau Frey, ich freue mich, dass sie sich melden. Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann erzähle ihm von deinen Plänen! Außerdem habe ich heute sowieso nichts vor. Ich liege hier so rum und gehe meiner Frau gehörig auf die Nerven. Aber sie ist ein Schatz, denn sie vergibt mir, selbst dann, wenn ich nichts getan habe“ Ermutigt von seinem Wortwitz wagte ich mich jetzt auf’s Glatteis: „Ich habe mir auch gründlich die Hände gewaschen und einen Mundschutz angelegt, bevor ich sie angerufen habe.“ Er lachte schallend. Mein Spürsinn für den Humor von Herrn Berger hatte mich nicht getäuscht. Bald erzählte er mir viele vertrauliche Dinge und ich bin sehr dankbar, dass ich ihn wenigstens einen kurzen Moment ablenken konnte. Bald, so hoffe ich, lerne ich ihn persönlich kennen. Aber viel Zeit bleibt uns vermutlich nicht mehr.

„Weck mal die Oma auf. Die Frau von der Sterbehilfe ist da!“

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Wer hätte das gedacht. Da bin ich doch aufgrund eines so kleinen Virus tatsächlich arbeitslos als Sterbebegleiterin. Der Besuch meiner Begleitung ist momentan aus den bekannten Gründen nicht erlaubt. Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Wohlgemerkt, ich bin Sterbebegleiterin nicht Sterbehelferin.

Es gibt einen feinen, kleinen Unterschied zwischen Sterbehelfer und Sterbebegleiter.

Gut zu erkennen, allein an dem Worten: Helfer und Begleiter. Sterbehilfe ist bei uns in Deutschland definitiv verboten und überhaupt nicht im Sinne der Hospizbewegung. Ich darf weder jemanden von der Brücke schubsen, vor den Zug werfen, noch Tabletten eingeben, um zu helfen, sein Leben zu beenden. Dafür komme ich ganz klar in den Knast.

Natürlich weiß ich, dass es nicht in dem Sinne gemeint ist, wie es sich anhört, aber, selbst auf die Gefahr hin, dass ich zur Spezies der Erbsenzähler gehöre. Mir ist es wichtig, meine Aufgabe in der korrekten Wortkategorie zu finden.

Die besten Geschichten schreibt das Leben.

Vor einiger Zeit kam ich zu einer neuen Begleitung. Eine alte Dame, die zu Hause und von Ihrer Familie betreut wurde. Als ich dort zum ersten Mal an der Türe klingelte, öffnete mir eine Frau mittleren Alters. Klein, rosa gefärbtes Haar, trockenen Lippen und wässrige Augen. In der einen Hand das Handy, in der anderen eine Zigarette.

„Guten Tag, ich bin Petra Frey, vom Hospizverein. Sie hatten angerufen.“ „Ja genau, Frau Mey, Ihr Verein hat gesagt das Sie heute kommen.“

Ok, die erste Vorstellungsrunde hatte ich wohl verloren. Um meinen korrekten Namen ging es hier ja sowie so nicht. Soweit so gut.

Daraufhin schrie sie laut in den hinteren Teil der Wohnung: „Karl Heinz tu ma die Oma aufwecken die Frau von der Sterbehilfe ist da! Möchten Sie nen Kaffee. Oder dürfen Sie im Dienst nichts trinken?“

Offensichtlich hatte die Dame zu viel der Sorte Krimis konsumiert, bei denen der Kommisar alkoholische Getränken mit dem Spruch: „Nein Danke, im Dienst trinke ich nicht“ ablehnt.

Damit ich dem Klischee des trockenen Kaffeeholikers entginge, hörte ich mich sagen: „Doch sehr gerne. Danke. Kaffee.“ Sie freute sich ganz offensichtlich, meine Koffeinsucht erkannt zu haben „Setzen Sie sich doch. Tschuldigung wie es hier aussieht, aber ich komm zu nix. Wegen Oma.“ Sie deutete auf das hintere Zimmer am Ende des Flurs. Schon brüllte sie wieder nach hinten: „Karl Heinz, jetzt weck doch mal die Oma auf! Die Frau Mey von die Sterbehilfe is da und will mit ihr reden!“

„Bitte lassen Sie Ihre Mutter ruhig schlafen, Sie müssen Sie nicht extra aufwecken. Ich kann gerne noch etwas warten oder komme zu einem anderen Zeitpunkt. Und übrigens ich bin nicht von der Sterbehilfe, sondern …“ „Karl Heinz, kannst die Oma schlafen lassen, Frau Mey, kann auch ohne die Oma“ „Entschuldigung, mein Name ist Frey“ „Sag ich doch. So wie der Sänger mit den – über den Wolken- Ach Wolken, Himmel und so. Wissen se, die Oma wollte keinen Pfarrer. Sie hat gesagt, dass ihr so ein Pfaffenkopf nicht ans Bett kommt. Sind se in die Kirche? Na, die Oma konnte nich so gut mit die Kirche. Und da hat mir die Nachbarin, die Trudi, erzählt, dass bei Ihrem Karli auch immer jemand von den Sterbehelferverein gekommen ist. Und dass das nix gekostet hat. Find ich ja schon toll, wenn das nix kostet“

Sterbehilfe kostet nix, oder?

„Ja da haben Sie recht, was die Kosten betrifft. Aber vorher wollte ich noch die Sache mit dem Sterbehelferverein klären…“ Schon schrie sie wieder in das hintere Zimmer. „Karl Heinz, das stimmt, was die Trudi sagt. Die Frau Mey ist kostenlos! Jetzt komm doch mal und schalt den Fernseher aus. Geht doch um Oma.“

Jetzt kam Karl Heinz. Missgelaunt, schlurfend setzte er sich endlich zu uns. Ganz ehrlich, bei manchen Menschen stelle ich mir die Frage: Was will mir die Natur damit sagen. Karl Heinz war so einer.

Jetzt redet die Oma …

Da ertönte im Hintergrund die verschlafene Stimme von Oma. Die arme Frau wurde sicher durch das Geplärr aufgeweckt. „Ilse, wer ist denn da? Nicht der Pfarrer! Der will eh nur dass ich was spende. Und dann kommt der auch noch zum Leichenschmaus.“

„Ne nicht der Pfarrer.“

Kurz darauf, etwas wacher, schimpfte sie aus ihrem Zimmer: „Und den Onkel Franz will ich auch nicht sehen. Der wartet nur auf sein Erbe. Aber der kriegt nix. Den hab ich enterbt! Keinen Penny kriegt der!“

„Ne Mutti“, ruft Karl Heinz jetzt mit fachmännischer Kenntnis zurück, „die Frau Mey vom Hospiz.“

Ich staunte. Das Wort Hospiz hatte ich nicht von Karl Heinz erwartet. Jetzt hoffte ich doch noch auf eine richtige Bezeichnung meines Ehrenamts.

„Vom Hospiz? Was denn für ein Hospiz?“ fragte Oma zurück.

Karl Heinz lief zur Hochform auf und wollte sichtlich noch eins draufsetzen. Endlich konnte er zeigen, wie gut er aufgepasst hatte: „Ach, Oma. Hab ich dir doch erzählt. Der Sterbeverein. Der von der Trudi, und dem Karli. Für dich ist jetzt auch die Frau von der Sterbehilfe da.“

Kurze nachdenkliche Pause vom hinteren Zimmer. Energisch entschied Oma: „Die von der Sterbehilfe? Gut, die darf reinkommen“

Gestern war morgen noch ganz anders.

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Er hat es wieder einmal in die Schlagzeilen geschafft. Obwohl der Tod schon vorher da war. In diesen Tagen, taugt er zur Panikmache. Und er spaltet die Geister. Da gibt es doch tatsächlich so Schlaumeier, die denken, wenn sie sich eine Maske vor den Mund binden, dann erwischt es sie nicht. Weit gefeit. Er kennt diese Tricks und noch viele mehr. Leider, blöd.

Aber Schiss haben wohl viele, denn wie sonst erklärt sich der „Klopapierhamsterkauf“.

Augenblicklich verändert sich unser Leben und unsere Wahrnehmung. Der Virus hat uns fest im Griff und so recht weiß keiner, wie es noch werden wird.

Auf der Palliativstation wurde der Einsatz der Hospizhelfer bis auf Weiteres abgebrochen. Die Pflegekräfte, Helfer und Ärzte müssen nun auch diese Aufgaben übernehmen, um den palliativen Gedanken einigermaßen aufrecht erhalten zu können.

Heute hätte ich meine neue Begleitung besucht, die Familie unterstützen können. Abgesagt. Je nachdem wie lange der Virus noch wütet, werde ich vielleicht nichts mehr für ihn tun können. Er wird sicher sterben, ob infiziert oder nicht, aber beschleunigen möchte ich es mit einer unachtsamen Haltung auch nicht. Irgendwie schon schräg. Ich besuche den Sterbenden nicht, damit ich keinen Virus überbringe, an dem er schneller sterben könnte. Es tut mir wirklich für ihn, und seine Familie sehr leid. Nun sind sie ganz auf sich gestellt und bekommen von Außen nur noch die nötigste Hilfe. Wie so viele Kranke und alte Menschen in dieser schwierigen Zeit.

Was ich aber tun kann, ist telefonieren. Mit Herrn Berger, meiner neuen Begleitung, oder aber auch mit Freunden. Bekannte, die ich länger schon nicht mehr gehört habe. Vielleicht nutze ich die Zeit zu Hause für längere Telefonate. Aufgrund der aktuellen Lage, müssten meine Gesprächspartner wiederum ebenso mehr Zeit zum Plaudern haben.

Da fällt mir eine liebe Dame ein, die ich einige Male im Hospiz besucht habe. Sie war schon sehr alt und konnte sich kaum noch bewegen. Trotzdem haderte sie nicht, sondern passte sich den Gegebenheiten an. „Es ist doch schön, wenn ich alt bin, dann bin ich ja auch später tot. Kein Nachteil woraus nicht ein Vorteil!“