„Weck mal die Oma auf. Die Frau von der Sterbehilfe ist da!“

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Wer hätte das gedacht. Da bin ich doch aufgrund eines so kleinen Virus tatsächlich arbeitslos als Sterbebegleiterin. Der Besuch meiner Begleitung ist momentan aus den bekannten Gründen nicht erlaubt. Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Wohlgemerkt, ich bin Sterbebegleiterin nicht Sterbehelferin.

Es gibt einen feinen, kleinen Unterschied zwischen Sterbehelfer und Sterbebegleiter.

Gut zu erkennen, allein an dem Worten: Helfer und Begleiter. Sterbehilfe ist bei uns in Deutschland definitiv verboten und überhaupt nicht im Sinne der Hospizbewegung. Ich darf weder jemanden von der Brücke schubsen, vor den Zug werfen, noch Tabletten eingeben, um zu helfen, sein Leben zu beenden. Dafür komme ich ganz klar in den Knast.

Natürlich weiß ich, dass es nicht in dem Sinne gemeint ist, wie es sich anhört, aber, selbst auf die Gefahr hin, dass ich zur Spezies der Erbsenzähler gehöre. Mir ist es wichtig, meine Aufgabe in der korrekten Wortkategorie zu finden.

Die besten Geschichten schreibt das Leben.

Vor einiger Zeit kam ich zu einer neuen Begleitung. Eine alte Dame, die zu Hause und von Ihrer Familie betreut wurde. Als ich dort zum ersten Mal an der Türe klingelte, öffnete mir eine Frau mittleren Alters. Klein, rosa gefärbtes Haar, trockenen Lippen und wässrige Augen. In der einen Hand das Handy, in der anderen eine Zigarette.

„Guten Tag, ich bin Petra Frey, vom Hospizverein. Sie hatten angerufen.“ „Ja genau, Frau Mey, Ihr Verein hat gesagt das Sie heute kommen.“

Ok, die erste Vorstellungsrunde hatte ich wohl verloren. Um meinen korrekten Namen ging es hier ja sowie so nicht. Soweit so gut.

Daraufhin schrie sie laut in den hinteren Teil der Wohnung: „Karl Heinz tu ma die Oma aufwecken die Frau von der Sterbehilfe ist da! Möchten Sie nen Kaffee. Oder dürfen Sie im Dienst nichts trinken?“

Offensichtlich hatte die Dame zu viel der Sorte Krimis konsumiert, bei denen der Kommisar alkoholische Getränken mit dem Spruch: „Nein Danke, im Dienst trinke ich nicht“ ablehnt.

Damit ich dem Klischee des trockenen Kaffeeholikers entginge, hörte ich mich sagen: „Doch sehr gerne. Danke. Kaffee.“ Sie freute sich ganz offensichtlich, meine Koffeinsucht erkannt zu haben „Setzen Sie sich doch. Tschuldigung wie es hier aussieht, aber ich komm zu nix. Wegen Oma.“ Sie deutete auf das hintere Zimmer am Ende des Flurs. Schon brüllte sie wieder nach hinten: „Karl Heinz, jetzt weck doch mal die Oma auf! Die Frau Mey von die Sterbehilfe is da und will mit ihr reden!“

„Bitte lassen Sie Ihre Mutter ruhig schlafen, Sie müssen Sie nicht extra aufwecken. Ich kann gerne noch etwas warten oder komme zu einem anderen Zeitpunkt. Und übrigens ich bin nicht von der Sterbehilfe, sondern …“ „Karl Heinz, kannst die Oma schlafen lassen, Frau Mey, kann auch ohne die Oma“ „Entschuldigung, mein Name ist Frey“ „Sag ich doch. So wie der Sänger mit den – über den Wolken- Ach Wolken, Himmel und so. Wissen se, die Oma wollte keinen Pfarrer. Sie hat gesagt, dass ihr so ein Pfaffenkopf nicht ans Bett kommt. Sind se in die Kirche? Na, die Oma konnte nich so gut mit die Kirche. Und da hat mir die Nachbarin, die Trudi, erzählt, dass bei Ihrem Karli auch immer jemand von den Sterbehelferverein gekommen ist. Und dass das nix gekostet hat. Find ich ja schon toll, wenn das nix kostet“

Sterbehilfe kostet nix, oder?

„Ja da haben Sie recht, was die Kosten betrifft. Aber vorher wollte ich noch die Sache mit dem Sterbehelferverein klären…“ Schon schrie sie wieder in das hintere Zimmer. „Karl Heinz, das stimmt, was die Trudi sagt. Die Frau Mey ist kostenlos! Jetzt komm doch mal und schalt den Fernseher aus. Geht doch um Oma.“

Jetzt kam Karl Heinz. Missgelaunt, schlurfend setzte er sich endlich zu uns. Ganz ehrlich, bei manchen Menschen stelle ich mir die Frage: Was will mir die Natur damit sagen. Karl Heinz war so einer.

Jetzt redet die Oma …

Da ertönte im Hintergrund die verschlafene Stimme von Oma. Die arme Frau wurde sicher durch das Geplärr aufgeweckt. „Ilse, wer ist denn da? Nicht der Pfarrer! Der will eh nur dass ich was spende. Und dann kommt der auch noch zum Leichenschmaus.“

„Ne nicht der Pfarrer.“

Kurz darauf, etwas wacher, schimpfte sie aus ihrem Zimmer: „Und den Onkel Franz will ich auch nicht sehen. Der wartet nur auf sein Erbe. Aber der kriegt nix. Den hab ich enterbt! Keinen Penny kriegt der!“

„Ne Mutti“, ruft Karl Heinz jetzt mit fachmännischer Kenntnis zurück, „die Frau Mey vom Hospiz.“

Ich staunte. Das Wort Hospiz hatte ich nicht von Karl Heinz erwartet. Jetzt hoffte ich doch noch auf eine richtige Bezeichnung meines Ehrenamts.

„Vom Hospiz? Was denn für ein Hospiz?“ fragte Oma zurück.

Karl Heinz lief zur Hochform auf und wollte sichtlich noch eins draufsetzen. Endlich konnte er zeigen, wie gut er aufgepasst hatte: „Ach, Oma. Hab ich dir doch erzählt. Der Sterbeverein. Der von der Trudi, und dem Karli. Für dich ist jetzt auch die Frau von der Sterbehilfe da.“

Kurze nachdenkliche Pause vom hinteren Zimmer. Energisch entschied Oma: „Die von der Sterbehilfe? Gut, die darf reinkommen“

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