Hospizhelfer? Nö, danke!

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Ganz ehrlich? Es gibt Sterbebegleitungen, die gehen mir direkt an die Nieren. Dramatische Konstellationen, besonders schwierige Umstände, ob in der Pflege oder in der Familie. Oder es passt die Chemie zwischen mir und meinem Gegenüber nicht. Dann muss ich leider passen…

Bei Herrn Graf war es nicht so, trotzdem ist es für mich eine ganz besondere Begleitung geworden. Ich wurde anders gefordert als sonst. Nämlich gar nicht. So ganz nach dem Zitat von Karl Valentin: „Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.“

Ich war nicht unterfordert. Nein. Eher schlicht überflüssig.

Er ist ein sehr angenehmer Mensch und wir hatten bei meinem ersten Besuch keinerlei Schwierigkeiten uns auszutauschen. Trotz der Maske, die mir immer noch den direkten Weg zu meiner Begleitung erschwert. Ich habe auch den Trick noch nicht so raus, wie ich lächeln soll ohne, dass mir die Brille beschlägt. Aber selbst diese Hürde haben wir hervorragend gemeistert.

Schnell gab es ein gemeinsames Thema.

Herr Graf ist Aquarianer und auch ich habe ein Aquarium bei mir zu Hause im Wohnzimmer. „Frau Frey, wussten Sie, dass die Fische, die immer die Fensterscheiben putzen, außerhalb des Aquariums nicht funktionieren?“ scherzte er.

Er machte auf mich einen guten Eindruck, was seine körperliche Verfassung betraf und ich hoffte, dass ich ihn näher kennenlernen und begleiten durfte.

Aber es blieb nur bei diesem einem Besuch.

Wenige Tage später, als ich anrief, um einen neuen Termin zu vereinbaren, bekam ich eine liebevolle Absage.

„Frau Frey, ich kann Ihnen nur sagen, dass ich so wunderbar vom SAPV-Team versorgt werde, die Pflegekräfte sehr zuverlässig und freundlich sind und meine Kinder und Freunde kommen regelmäßig zu Besuch. Ich hatte zunächst Sorge, dass ich zu Hause meine Frau zu sehr beanspruchen würde. Das wir das alleine nicht schafften und ich nicht die notwendige Versorgung bekommen. Aber der Pflegedienst entlastet meine Hilde ausreichend und kommt immer sehr pünktlich. Dann dachte ich, dass sich meine Familie nicht an das Bett eines Sterbenden traut. Das habe ich bei meinem verstorbenen Freund so erlebt. Da hatten alle Hemmungen das Zimmer zu betreten, weil sie nicht wussten, wie man sich am Sterbebett verhalten sollte. Deswegen habe ich bei Ihren Hospizkreis angerufen, um niemanden zur Last zu fallen und mir Rat zu holen. Und ich hatte Angst, dass ich mit der ganzen Sterberei nicht zurechtkomme.“

Aber es kam ganz anders als erwartet.

„Ich danke Ihnen für Ihr Angebot, mich zu besuchen, aber ich denke, Ihre Hilfe und Fürsorge sollten Sie jemanden zukommen lassen, der es nötiger hat als ich. Es geht mir gut und ich werde einen guten Tod sterben.“

Wow, das ist wirklich großartig. Die medizinische Versorgung klappt, der Pflegedienst macht richtig gute Arbeit und die Familie und Freunde schaffen es, sich von Ihrem lieben Menschen gut zu verabschieden. Der Patient ist wohlbehütet, kann seinen letzten Weg mit Würde und in Frieden gehen.

So soll es sein. Das ist der Plan, und das Bestreben der Hospizbewegung. Und wir werden alles dafür tun, dass es noch vielen Menschen vergönnt ist, bis zu letzt gut versorgt zu sein. Ganz nach dem Spruch von Cicely Saunders…

Sterbende sind Lebende bis zuletzt.

„Weck mal die Oma auf. Die Frau von der Sterbehilfe ist da!“

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Wer hätte das gedacht. Da bin ich doch aufgrund eines so kleinen Virus tatsächlich arbeitslos als Sterbebegleiterin. Der Besuch meiner Begleitung ist momentan aus den bekannten Gründen nicht erlaubt. Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Wohlgemerkt, ich bin Sterbebegleiterin nicht Sterbehelferin.

Es gibt einen feinen, kleinen Unterschied zwischen Sterbehelfer und Sterbebegleiter.

Gut zu erkennen, allein an dem Worten: Helfer und Begleiter. Sterbehilfe ist bei uns in Deutschland definitiv verboten und überhaupt nicht im Sinne der Hospizbewegung. Ich darf weder jemanden von der Brücke schubsen, vor den Zug werfen, noch Tabletten eingeben, um zu helfen, sein Leben zu beenden. Dafür komme ich ganz klar in den Knast.

Natürlich weiß ich, dass es nicht in dem Sinne gemeint ist, wie es sich anhört, aber, selbst auf die Gefahr hin, dass ich zur Spezies der Erbsenzähler gehöre. Mir ist es wichtig, meine Aufgabe in der korrekten Wortkategorie zu finden.

Die besten Geschichten schreibt das Leben.

Vor einiger Zeit kam ich zu einer neuen Begleitung. Eine alte Dame, die zu Hause und von Ihrer Familie betreut wurde. Als ich dort zum ersten Mal an der Türe klingelte, öffnete mir eine Frau mittleren Alters. Klein, rosa gefärbtes Haar, trockenen Lippen und wässrige Augen. In der einen Hand das Handy, in der anderen eine Zigarette.

„Guten Tag, ich bin Petra Frey, vom Hospizverein. Sie hatten angerufen.“ „Ja genau, Frau Mey, Ihr Verein hat gesagt das Sie heute kommen.“

Ok, die erste Vorstellungsrunde hatte ich wohl verloren. Um meinen korrekten Namen ging es hier ja sowie so nicht. Soweit so gut.

Daraufhin schrie sie laut in den hinteren Teil der Wohnung: „Karl Heinz tu ma die Oma aufwecken die Frau von der Sterbehilfe ist da! Möchten Sie nen Kaffee. Oder dürfen Sie im Dienst nichts trinken?“

Offensichtlich hatte die Dame zu viel der Sorte Krimis konsumiert, bei denen der Kommisar alkoholische Getränken mit dem Spruch: „Nein Danke, im Dienst trinke ich nicht“ ablehnt.

Damit ich dem Klischee des trockenen Kaffeeholikers entginge, hörte ich mich sagen: „Doch sehr gerne. Danke. Kaffee.“ Sie freute sich ganz offensichtlich, meine Koffeinsucht erkannt zu haben „Setzen Sie sich doch. Tschuldigung wie es hier aussieht, aber ich komm zu nix. Wegen Oma.“ Sie deutete auf das hintere Zimmer am Ende des Flurs. Schon brüllte sie wieder nach hinten: „Karl Heinz, jetzt weck doch mal die Oma auf! Die Frau Mey von die Sterbehilfe is da und will mit ihr reden!“

„Bitte lassen Sie Ihre Mutter ruhig schlafen, Sie müssen Sie nicht extra aufwecken. Ich kann gerne noch etwas warten oder komme zu einem anderen Zeitpunkt. Und übrigens ich bin nicht von der Sterbehilfe, sondern …“ „Karl Heinz, kannst die Oma schlafen lassen, Frau Mey, kann auch ohne die Oma“ „Entschuldigung, mein Name ist Frey“ „Sag ich doch. So wie der Sänger mit den – über den Wolken- Ach Wolken, Himmel und so. Wissen se, die Oma wollte keinen Pfarrer. Sie hat gesagt, dass ihr so ein Pfaffenkopf nicht ans Bett kommt. Sind se in die Kirche? Na, die Oma konnte nich so gut mit die Kirche. Und da hat mir die Nachbarin, die Trudi, erzählt, dass bei Ihrem Karli auch immer jemand von den Sterbehelferverein gekommen ist. Und dass das nix gekostet hat. Find ich ja schon toll, wenn das nix kostet“

Sterbehilfe kostet nix, oder?

„Ja da haben Sie recht, was die Kosten betrifft. Aber vorher wollte ich noch die Sache mit dem Sterbehelferverein klären…“ Schon schrie sie wieder in das hintere Zimmer. „Karl Heinz, das stimmt, was die Trudi sagt. Die Frau Mey ist kostenlos! Jetzt komm doch mal und schalt den Fernseher aus. Geht doch um Oma.“

Jetzt kam Karl Heinz. Missgelaunt, schlurfend setzte er sich endlich zu uns. Ganz ehrlich, bei manchen Menschen stelle ich mir die Frage: Was will mir die Natur damit sagen. Karl Heinz war so einer.

Jetzt redet die Oma …

Da ertönte im Hintergrund die verschlafene Stimme von Oma. Die arme Frau wurde sicher durch das Geplärr aufgeweckt. „Ilse, wer ist denn da? Nicht der Pfarrer! Der will eh nur dass ich was spende. Und dann kommt der auch noch zum Leichenschmaus.“

„Ne nicht der Pfarrer.“

Kurz darauf, etwas wacher, schimpfte sie aus ihrem Zimmer: „Und den Onkel Franz will ich auch nicht sehen. Der wartet nur auf sein Erbe. Aber der kriegt nix. Den hab ich enterbt! Keinen Penny kriegt der!“

„Ne Mutti“, ruft Karl Heinz jetzt mit fachmännischer Kenntnis zurück, „die Frau Mey vom Hospiz.“

Ich staunte. Das Wort Hospiz hatte ich nicht von Karl Heinz erwartet. Jetzt hoffte ich doch noch auf eine richtige Bezeichnung meines Ehrenamts.

„Vom Hospiz? Was denn für ein Hospiz?“ fragte Oma zurück.

Karl Heinz lief zur Hochform auf und wollte sichtlich noch eins draufsetzen. Endlich konnte er zeigen, wie gut er aufgepasst hatte: „Ach, Oma. Hab ich dir doch erzählt. Der Sterbeverein. Der von der Trudi, und dem Karli. Für dich ist jetzt auch die Frau von der Sterbehilfe da.“

Kurze nachdenkliche Pause vom hinteren Zimmer. Energisch entschied Oma: „Die von der Sterbehilfe? Gut, die darf reinkommen“

Drinks de ene met ?

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Wenn ich auf der Palliativstation mithelfe, dann mache ich mich meist in der Küche nützlich. Nicht das ich die Küchenarbeit liebe, weiß Gott nicht, aber damit leiste ich tatsächlich einen wertvollen Beitrag für die Patienten. Denn durch die Unterstützung der Hospizhelfer haben die Schwestern und Pflegekräfte mehr Zeit für die notwendige Versorgung oder kommen selbst mal zum durch schnaufen. Die freien Momente werden dazu genutzt, die Spülmaschine auszuräumen oder die Patientenzimmer von dem benutzten Geschirr zu befreien. Das Essen wird nach den Wünschen der Gäste (so werden die Patienten genannt) angerichtet und es wird auch nachgefragt, welches Getränk passen könnte. Natürlich haben wir in meiner Hauptstadt des Bieres auch welches im Kühlschrank und es wird außerordentlich gerne genommen.

Als ich das Zimmer von Herrn Ehrhard betrete, sitzt er aufrecht im Bett und sieht mich erwartungsvoll an. Er ist seit zwei Wochen in palliativer Behandlung und wird in wenigen Tagen in ein nahe gelegenes Hospiz umziehen. Wissend dass er nur noch eine kurze Zeit zu leben hat, stört es ihn allerdings nicht Scherze zu machen. „Ach et küt wie et kütt“ antwortet er mir auf die Frage, wie es ihm denn heute gehe. Ein Kölner !

Tja das könnte die Verständigung schwierig machen, denn meinen bayerischen Dialekt kann ich beim Aufschreiben ins Hochdeutsche übertragen. Aber so Auge in Auge? Da muss ich mich auf meine Aussprache konzentrieren. „Kann ich denn irgendwas Gutes für Sie tun?“ „Alles Jut. Wat wells de maache. Nix bliev wie et es“

Ok, soweit habe ich ihn verstanden.

Natürlich merkt er, dass ich nicht alles verstehe und er bemüht sich um krakeliges Hochdeutsch. „Haben se denn een Bierchen für mich? Wissen se, Kölsch ist die einzige Sprache, die man och trinken kann.“ Er lässt es sich nicht anmerken, dass ihm die Medikamente zusetzen und ihm starkes Unwohlsein verursachen. Bei der Besprechung mit dem Pflegepersonal bin ich darauf hingewiesen worden, daß er oft erbrechen muss und er nur ganz kleine Essensportionen verträgt.

Zusammen mit dem Abendessen bringe ich ihm das gewünschte Bier. Sein Menü, eine Buchstabensuppe, dekoriert mit Petersilie und einem kleinem Stückchen Brot stelle ich auf den Patiententisch. Als er das sieht, fängt er lauthals zu lachen an und prustet:

„Do laachs dich kapot. Ene Supp‘ mit Buchstaben! Da kann isch heut Geschichten kotzen!“

Wir lachen beide fast schon ein wenig zu laut und als er zu seinem Bierchen greift, fragt er mich gespieltem Ernst: „Sind se mit dem Auto da?“ „Ja, warum?“ „Schad, dann könn se jet keene met drinken, aber ich schon. Und kann och noch jemütlich hier liegen bleiben. Nix es esu schlääch dat et nit och für et joth wör“

Wie wahr, wie wahr …

Freiheit für die Asche!

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Greta Thunbergs Einsatz wirkt auch über den Tod hinaus.

Neue Bestattungstrends. Ökologisch, biologisch und zukunftstauglich. Was weiß ich, wo das noch hinführt. Aber erfinderisch ist der Mensch an sich ja schon …

Promession — Pulver durch schockfrosten

Die Idee stammt von der Schwedin Susanne Wiigh-Mäsak. Anstatt jahrzehntelang im Boden zu verrotten oder unter hohem Energieaufwand zu verbrennen, kann sie sich gut vorstellen, schockgefrostet zu werden. Dadurch verliert der Leichnam Flüssigkeiten, er wird brüchig. Rotationen lassen ihn zu Granulat zerfallen. Metalle, wie zum Beispiel Zahnfüllungen, zieht ein Magnet aus dem geruchsfreien Pulver. In einer kompostierbaren Urne kann der Angehörige dann — zumindest theoretisch — im Blumenbeet bestattet werden. Auch hinter dieser Idee verbirgt sich der Gedanke, die Umwelt zu schonen und in einem neuen Organismus weiterzuleben. Für diese Idee setzt sich die Schwedin in der ganzen Welt ein, durchsetzen konnte sich das Konzept aber noch nicht.

Aber auch der pfiffige Bestatter Joerg Vieweg und möchte zur Diskussion anstoßen. „Freiheit für die eigene Asche“ Bremen ist so liberal, wie kein anderes deutsches Bundesland: Seit 2015 kann in der Stadt Bremen die Asche von Angehörigen, die ihren letzten Wohnsitz vor dem Tod in Bremen hatten, im eigenen Garten vergraben oder verstreut werden. Vor dem Tod muss dafür lediglich die passende Bestattungsverfügung ausgefüllt werden. „Bis Ende 2018 sind 86 dieser Anträge bei uns eingegangen“, sagt Kerstin Doty vom Umweltbetrieb Bremen. Bis andere Bestattungsmethoden zum Standard werden können, müssten aber wohl erst zahlreiche Gesetze geändert werden, vermutet Doty.

Oder als Alternative die Resomation — sich auflösen

Hier wird der Körper mit einer speziellen Lösung besprüht und in einem Druckbehälter, dem sogenannten Resomator, unter hohen Temperaturen und hohem Luftdruck zersetzt. Das Ganze dauert etwa drei Stunden, übrig bleibt ein weißes Pulver. „Das kann dann ganz normal in einer Urne beigesetzt werden“, sagt Vieweg. Diese Methode verbrauche weitaus weniger Energie, sei schneller und umweltschonender als die herkömmliche Verbrennung im Krematorium, so Vieweg. In den USA und Kanada darf teilweise bereits resomiert werden, Belgien und die Niederlande denken darüber nach. Auch für Deutschland sei die Resomation wohl die wahrscheinlichste Neuerung der kommenden Jahrzehnte, glaubt Joerg Vieweg. „Es ist günstiger, schneller, sauberer und die Technik ist schon länger auf dem Markt.“

Grüne Linie — lokal und ressourcenschonend

Die Idee ist simpel: Der letzte Fußabdruck, den Menschen auf der Erde hinterlassen, soll möglichst ökologisch und nachhaltig sein. Der Bestatter Werner Kentrup aus Bonn hat die Initiative ins Leben gerufen. Praktisch sieht das dann so aus: Statt glänzenden Särgen oder Trauerkarten entscheidet man sich zum Beispiel für einen schlichten Kiefernsarg, der lokal produziert wurde und biologisch abbaubar ist. Gleiche Prinzipien gelten für Blumen oder den Grabstein: Welche Blumen blühen gerade in der Natur? Welchen Stein findet man ganz natürlich in der Region? Die Grüne Linie ist der wohl einfachste Weg, den letzten Weg eines Menschens umweltschonender zu gestalten. (Quelle Buten und Binner Nachrichten)

Was tun?

Ganz ehrlich, jetzt bin ich schon etwas verwirrt. Dann tragen die vielen, nicht ökologisch wertvoll versorgten Leichen Mitschuld an der Umweltverschmutzung?

Au Backe! Da bin ich jetzt aber sehr vorsichtig, mit dem, was ich so alles zu mir nehme. Sonst komme ich in den Pilzanzug der mich in Windeseile zersetzt. Gibts tatsächlich. Was das bedeutet? Davon lest ihr in meinem nächsten Blog …

Ich habe gerade Zeit, wo gibts nichts zu tun?

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Eines hat sich definitiv für mich verändert, seit ich in der Sterbebegleitung bin: der Begriff von Zeit.

Wenn es einen wahrhaftigen und unbezahlbaren Schatz gibt, dann meine ganz persönliche Zeit.

Es ist für mich der Inbegriff von Gerechtigkeit. Wir haben alle die gleiche Zeit, wir wissen alle nicht wie viel wir davon haben und wann sie verbraucht ist. Kein Mensch der Welt, egal wie groß die Rolex an seinem Handgelenk ist, oder seine Villa auf Malle, kann mehr Zeit für sich verbrauchen, als ihm zugedacht ist.

Jeder von uns hat seine eigenen Möglichkeiten Zeit zu nutzen. Dabei gibt es für mich kleine feine Unterschiede.

Es gibt Menschen die Schreiben mir, wenn sie Zeit haben und andere nehmen sich die Zeit mir zu schreiben. In beiden Möglichkeiten wird die Zeit genutzt, jedoch mit einer anderen Wahrnehmung.

Wenn ich meine Zeit aufrichtig einteile, verschenke oder vergeude mit Dingen, die in diesem Moment gut für mich sind, dann tut mir das gut. Meine Zeit zu verweigern, nicht zu verschenken, egoistisch für mich zu behalten, fühlt sich für mich allemal besser an, als Erwartungen zu erfüllen, wie ich meine Zeit zu verbringen habe. Die Qualität der Zeit verändert sich mit der Haltung in der ich sie verplane.

Die Zeit wird mit der Zeit immer wichtiger…

In meinen Begleitungen erlebe ich sehr oft, dass vertane Zeit betrauert, bereut wird. Am Ende sehen wir die Wichtigkeit der Zeit und Ihre Bedeutung. Viele erkennen das leider erst zum Schluss.

Aber die kostbaren Momente im Leben, die guten Zeiten, helfen in den letzten Stunden. Machen es leichter loszulassen, nicht mit dem Gegebenen zu hadern. Wenn die Zeit hier auf Erden gut und qualitätsvoll genutzt wurde, ist das am Ende eine sehr schöne Erkenntnis.

Meine liebe, alte Dame, die ich neulich besucht habe, jammerte fürchterlich, als ich bei Ihr war. Mit gutem Grund, denn ihr Gesundheitszustand wird immer schlechter, sie hat Schmerzen, und ich glaube viel Zeit bleibt ihr nicht mehr. Um sie etwas abzulenken, fragte ich, was ich für sie tun könnte, was ihr denn Freude bereiten würde. Darauf hin antwortete sie mir: „Sie machen mir Freude, mit ihrem Besuch und das sie mir ihre Zeit schenken!“

…und es fühlte sich für mich richtig an, in diesem Moment meine Zeit dieser schwerkranken, lieben, alten Dame zu schenken …

Ist das ein Gespräch, oder kann das weg?

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„Wie geht‘s dir?“ Eine alltägliche Frage. Wir stellen sie mehrmals am Tag, ohne uns die Zeit zu nehmen, die Antwort abzuwarten. Es ist zu einer Floskel geworden. Ohne Anspruch auf Erfüllung. Wehe es antwortet jemand nicht mit „Gut“ oder „Passt schon.“Dann erliegt man einem ungewolltem Gespräch oder spricht eine willkommene Einladung an den Hypochonder aus.

Auch ich ertappe mich dabei, die Floskel „ Alles Ok?“ zu benutzen. Einfach mal nachzufragen, banal, ohne eine ehrliche Antwort zu erwarten. Meist hat es keine Auswirkung auf mein Gemüt und der Gefragte fühlt sich nicht wirklich angesprochen. Unverbindliche Höflichkeitsfloskel. Gut für beide.

So eine oberflächliche Nachfrage kann aber in der Begegnung mit Schwerstkranken ziemlich nach hinten losgehen.

„Wie soll es mir schon gehen? Ich bekomme gerade meine vierte Chemo.“ Das entgegnete mir damals meine Mutter, als ich mit der Floskel “Wie gehts dir?“ ins Zimmer stürmte. Da wurde mir schlagartig klar, dass ich der prekären Situation, mit meiner unsensiblen Frage, noch ordentlich Futter gab.

Das ist jetzt schon einige Jahre her, aber noch immer mache ich mir Gedanken, womit ich das Gespräch beginnen soll, wenn ich in das Zimmer eines Kranken gehe.

Wie spreche ich mit jemanden der, wie ein Häufchen Elend im Bett liegt? Womöglich sich wenig oder unverständlich mitteilt. Was sage ich denn, wenn mich die Augen eines geliebten Menschen verloren ansehen, in der Hoffnung, ich hätte eine Lösung? Wie reagiere ich denn, wenn jemand vor mir liegt, den ich kaum wiedererkenne weil die Krankheit an seinem Körper bis zur Unkenntlichkeit an ihm gezehrt hat. Oder noch schlimmer, wenn der Tod greifbar nah ist, es alle wissen und spüren? Was sagt man denn da?

Es erfordert etwas Mut…aber es ist leicht zu schaffen.

Eine enorme Herausforderung, das Richtige zu sagen, sich richtig zu verhalten den perfekten Wortlaut zu treffen. Das ist oft der Grund, warum viele sich nicht in das Krankenhaus, auf die Palliativstation oder in das Hospiz trauen. Die Scheu vor der Kommunikation mit Sterbenden ist groß und die Angst, etwas falsches zu sagen, oder gar sprachlos zu sein hält davon ab, sich überhaupt in diese Lage zu bringen.

Oft höre ich: „Petra, was sagst du denn, wenn du zu deinen Begleitungen gehst? Gibt es da ’ne Regel?“ Nein, gibt es nicht. Es ist immer eine besondere Situation und auf manches kann ich mich vorbereiten, aber auf vieles nicht.

Mein Tipp für solche Fragen?

Authentisch sein. Ehrlich antworten. Wer am Herrgotts Türchen steht, hat keine Zeit und Lust mehr auf blödsinnige Floskeln oder umständliche Worte. Da ist Geradlinigkeit gefragt. Das ist nicht einfach, ich weiß, aber nach meinen Erfahrungen ist es der richtige Weg. Solang ich aufrichtig bei meinen Begleitungen bin, ehrlich antworte, und mich nicht verstelle, habe ich direkten Kontakt. Da sollte ich nichts mehr über die Langzeitwirkung von Globoli erzählen, sondern den „Istzustand“ annehmen. Zuhören, miteinander schweigen oder auch miteinander weinen.

Und wenn schon die Frage „ Wie geht‘s dir? „im Raum steht, weil man sie wieder viel zu schnell und unüberlegt ausgesprochen hat, dann würde ich noch ein kleines Wort anhängen. … „Wie geht‘s dir HEUTE?“ „Wie fühlst du dich JETZT?“

Und schon ist es keine Floskel mehr. Ich bin direkt bei der Person. Frage ehrlich und zeige aufrichtiges Interesse. Dann befinde ich mich gemeinsam, mit meinem Gegenüber, im Hier und im Jetzt. Das HEUTE und das JETZT zählt, denn viel mehr Zeit haben meine Begegnungen meist nicht mehr.