Ich habe gerade Zeit, wo gibts nichts zu tun?

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Eines hat sich definitiv für mich verändert, seit ich in der Sterbebegleitung bin: der Begriff von Zeit.

Wenn es einen wahrhaftigen und unbezahlbaren Schatz gibt, dann meine ganz persönliche Zeit.

Es ist für mich der Inbegriff von Gerechtigkeit. Wir haben alle die gleiche Zeit, wir wissen alle nicht wie viel wir davon haben und wann sie verbraucht ist. Kein Mensch der Welt, egal wie groß die Rolex an seinem Handgelenk ist, oder seine Villa auf Malle, kann mehr Zeit für sich verbrauchen, als ihm zugedacht ist.

Jeder von uns hat seine eigenen Möglichkeiten Zeit zu nutzen. Dabei gibt es für mich kleine feine Unterschiede.

Es gibt Menschen die Schreiben mir, wenn sie Zeit haben und andere nehmen sich die Zeit mir zu schreiben. In beiden Möglichkeiten wird die Zeit genutzt, jedoch mit einer anderen Wahrnehmung.

Wenn ich meine Zeit aufrichtig einteile, verschenke oder vergeude mit Dingen, die in diesem Moment gut für mich sind, dann tut mir das gut. Meine Zeit zu verweigern, nicht zu verschenken, egoistisch für mich zu behalten, fühlt sich für mich allemal besser an, als Erwartungen zu erfüllen, wie ich meine Zeit zu verbringen habe. Die Qualität der Zeit verändert sich mit der Haltung in der ich sie verplane.

Die Zeit wird mit der Zeit immer wichtiger…

In meinen Begleitungen erlebe ich sehr oft, dass vertane Zeit betrauert, bereut wird. Am Ende sehen wir die Wichtigkeit der Zeit und Ihre Bedeutung. Viele erkennen das leider erst zum Schluss.

Aber die kostbaren Momente im Leben, die guten Zeiten, helfen in den letzten Stunden. Machen es leichter loszulassen, nicht mit dem Gegebenen zu hadern. Wenn die Zeit hier auf Erden gut und qualitätsvoll genutzt wurde, ist das am Ende eine sehr schöne Erkenntnis.

Meine liebe, alte Dame, die ich neulich besucht habe, jammerte fürchterlich, als ich bei Ihr war. Mit gutem Grund, denn ihr Gesundheitszustand wird immer schlechter, sie hat Schmerzen, und ich glaube viel Zeit bleibt ihr nicht mehr. Um sie etwas abzulenken, fragte ich, was ich für sie tun könnte, was ihr denn Freude bereiten würde. Darauf hin antwortete sie mir: „Sie machen mir Freude, mit ihrem Besuch und das sie mir ihre Zeit schenken!“

…und es fühlte sich für mich richtig an, in diesem Moment meine Zeit dieser schwerkranken, lieben, alten Dame zu schenken …

Wer zuerst lacht, lacht am besten!
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Ist das ein Gespräch, oder kann das weg?

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„Wie geht‘s dir?“ Eine alltägliche Frage. Wir stellen sie mehrmals am Tag, ohne uns die Zeit zu nehmen, die Antwort abzuwarten. Es ist zu einer Floskel geworden. Ohne Anspruch auf Erfüllung. Wehe es antwortet jemand nicht mit „Gut“ oder „Passt schon.“Dann erliegt man einem ungewolltem Gespräch oder spricht eine willkommene Einladung an den Hypochonder aus.

Auch ich ertappe mich dabei, die Floskel „ Alles Ok?“ zu benutzen. Einfach mal nachzufragen, banal, ohne eine ehrliche Antwort zu erwarten. Meist hat es keine Auswirkung auf mein Gemüt und der Gefragte fühlt sich nicht wirklich angesprochen. Unverbindliche Höflichkeitsfloskel. Gut für beide.

So eine oberflächliche Nachfrage kann aber in der Begegnung mit Schwerstkranken ziemlich nach hinten losgehen.

„Wie soll es mir schon gehen? Ich bekomme gerade meine vierte Chemo.“ Das entgegnete mir damals meine Mutter, als ich mit der Floskel “Wie gehts dir?“ ins Zimmer stürmte. Da wurde mir schlagartig klar, dass ich der prekären Situation, mit meiner unsensiblen Frage, noch ordentlich Futter gab.

Das ist jetzt schon einige Jahre her, aber noch immer mache ich mir Gedanken, womit ich das Gespräch beginnen soll, wenn ich in das Zimmer eines Kranken gehe.

Wie spreche ich mit jemanden der, wie ein Häufchen Elend im Bett liegt? Womöglich sich wenig oder unverständlich mitteilt. Was sage ich denn, wenn mich die Augen eines geliebten Menschen verloren ansehen, in der Hoffnung, ich hätte eine Lösung? Wie reagiere ich denn, wenn jemand vor mir liegt, den ich kaum wiedererkenne weil die Krankheit an seinem Körper bis zur Unkenntlichkeit an ihm gezehrt hat. Oder noch schlimmer, wenn der Tod greifbar nah ist, es alle wissen und spüren? Was sagt man denn da?

Es erfordert etwas Mut…aber es ist leicht zu schaffen.

Eine enorme Herausforderung, das Richtige zu sagen, sich richtig zu verhalten den perfekten Wortlaut zu treffen. Das ist oft der Grund, warum viele sich nicht in das Krankenhaus, auf die Palliativstation oder in das Hospiz trauen. Die Scheu vor der Kommunikation mit Sterbenden ist groß und die Angst, etwas falsches zu sagen, oder gar sprachlos zu sein hält davon ab, sich überhaupt in diese Lage zu bringen.

Oft höre ich: „Petra, was sagst du denn, wenn du zu deinen Begleitungen gehst? Gibt es da ’ne Regel?“ Nein, gibt es nicht. Es ist immer eine besondere Situation und auf manches kann ich mich vorbereiten, aber auf vieles nicht.

Mein Tipp für solche Fragen?

Authentisch sein. Ehrlich antworten. Wer am Herrgotts Türchen steht, hat keine Zeit und Lust mehr auf blödsinnige Floskeln oder umständliche Worte. Da ist Geradlinigkeit gefragt. Das ist nicht einfach, ich weiß, aber nach meinen Erfahrungen ist es der richtige Weg. Solang ich aufrichtig bei meinen Begleitungen bin, ehrlich antworte, und mich nicht verstelle, habe ich direkten Kontakt. Da sollte ich nichts mehr über die Langzeitwirkung von Globoli erzählen, sondern den „Istzustand“ annehmen. Zuhören, miteinander schweigen oder auch miteinander weinen.

Und wenn schon die Frage „ Wie geht‘s dir? „im Raum steht, weil man sie wieder viel zu schnell und unüberlegt ausgesprochen hat, dann würde ich noch ein kleines Wort anhängen. … „Wie geht‘s dir HEUTE?“ „Wie fühlst du dich JETZT?“

Und schon ist es keine Floskel mehr. Ich bin direkt bei der Person. Frage ehrlich und zeige aufrichtiges Interesse. Dann befinde ich mich gemeinsam, mit meinem Gegenüber, im Hier und im Jetzt. Das HEUTE und das JETZT zählt, denn viel mehr Zeit haben meine Begegnungen meist nicht mehr.

Wetterapp und Tod?

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Alle Jahre wieder. Weihnachten. Wenn ich beim Einkaufen bin und mir die Weihnachtmänner freundlich zulächeln, überrascht es mich dann doch wieder, wenn das Jahr so schnell vorbeigeflogen ist. Scheibenkratzen am Auto. Plötzlicher Wintereinbruch. Und das Mitte November! Unglaublich. Das konnte ich nun wirklich nicht voraussehen.

Irgendwie habe ich das Gefühl, mit zunehmenden Alter vergeht die Zeit schneller. Eigentlich eine Ungerechtigkeit. Je weniger Lebenszeit einem bestimmt ist, desto schneller verfliegt sie. Wo bleibt denn da die Logik?

Meiner Meinung nach ist der Tod heutzutage für uns eine noch größere Herausforderung als für unsere Vorfahren. Wir sind doch gewohnt alles im Griff zu haben. Wir wissen zum Beispiel, ob es in drei Stunden regnet. Ein Blick auf die App genügt. Wie viel Schritte wir machen, welche Nährwerte unser Essen hat, ob die Straßen frei sind, wo Stau ist. Wenn uns etwas unklar ist, dann gibt Doktor Google genau Auskunft. Wir können genaue Kalkulationen erstellen, Prognosen und Statistiken. Für fast alles gibt es Portale die erklären, wie das Leben geht, was wir tun sollen oder besser nicht. Ein Gefühl der Kontrolle. Der Übersicht.

Aber was ist mit dem Tod? Ok, klar, da gibt es eine Fülle an Informationen, aber wir haben keinerlei Einfluss darauf, wann er kommt, wie er uns an die Hand nimmt, ob der Zeitpunkt richtig ist. Da gibt‘s noch keine App, die uns vorwarnt: „ Achtung Ihre Lebenszeit läuft in drei Jahren ab. Regeln Sie Ihre Angelegenheiten, besuchen Sie Ihre Freunde, gehen sie auf Reisen, nehmen sie sich Zeit für Dinge, die wirklich wichtig sind.“ Warum sagt denn keiner Bescheid? Soviel Technik, und wir haben keine Kontolle?

Aber halt, da ist ja doch etwas das wir steuern können… zwar genau jetzt! Dazu brauchen wir weder eine App noch einen Hellseher. Sterben werden wir alle. Fakt. Und bis dahin haben wir (hoffentlich) eine Menge an Leben. Auch Fakt.

Viele haben die Möglichkeit, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Etwas zu verändern. Und sei es nur im Kleinem. Es ist jederzeit möglich. Dazu brauchen wir keine App …

Gekonnte Wortakrobatik

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Mir rennt die Zeit davon! Mist! Jetzt war ich längere Zeit nicht mehr bei meiner lieben, alten Dame. Sie fehlt mir.

Sie ist im Krankenhaus, es geht und geht ihr leider immer schlechter. Normalerweise besuche ich meine Begleitungen im Krankenhaus, aber bei mir haben sich die Termine überschlagen und das Klinikum liegt leider am anderen Ende der Stadt. Aber das gehört für mich zu einer ehrlichen Begleitung. Wenn Besuche schwer möglich sind, dann muss auch ich mir eingestehen, dass meine Möglichkeiten begrenzt sind.

Trotzdem habe ich dann ein schlechtes Gewissen. Blöd eigentlich, denn niemand zwingt mich, ich habe keinen beruflichen Auftrag und auch keinen Chef der hinter mir steht. Genau das macht ja die Hospizarbeit für Betroffene so wertvoll.

Wenn ich meine liebe, alte Dame besuche, dann ganz freywillig (sorry, das Wortspiel konnte ich mir jetzt einfach nicht verkneifen).

Doch selbst für mich, als ausgebildete Hospizhelferin und zertifizierte Krisenbegleiterin, ist es durchaus schwierig, Menschen gegenüber zu stehen, die starke Schmerzen haben. Oder wie in dem Fall meiner lieben, alten Dame die ständig nach Luft ringt und mich mit hilflosem, todgeweihtem Blick anschaut:“ Warum habe ich nur so Pech? Wieso trifft es mich so schlimm? Wissen Sie denn eine Behandlungsmethode, die mir hilft? Sie müssen das doch wissen! Sie sind doch immer bei kranken Menschen. Sie kennen bestimmt einen guten Arzt, der mir helfen kann, oder?

Nein, ich weiß keinen Arzt, der den Sterbeprozess aufhalten kann. Nein, ich kenne keine neue Behandlungsmethode. Nein ich kann nicht helfen. … Ich würde so gerne etwas anderes sagen.

Was ich tun kann?

Da sein. Nicht die Flucht ergreifen, wenn mir die Antworten ausgehen. Zuhören, Stille aushalten. Wehklagen erdulden. Bleiben, und wieder kommen.

Das ist eine ganze Menge, obwohl ich manchmal das Gefühl habe, nichts zu tun.

Als ich letztes Mal bei ihr war, saß sie, zerbrechlich, ein kleines Häufchen Mensch, in dem viel zu groß geworden Sessel im Wohnzimmer. Wie immer hing ein feines Gewirr von Plastikschläuchen an ihrem Hals. Sie saugte die Luft durch die Öffnungen gierig durch die Nase ein und stöhnte den mühsam erarbeiteten Sauerstoff wieder aus. Die Konzentration, genügend Luft zu bekommen, erschöpfte sie vollends.

„Ach Frau Frey, es ist so furchtbar, alles so furchtbar. Das ist doch kein Leben mehr“ klagte sie mit leiser Stimme. Es ging ihr wirklich beschissen und in diesem Moment fiel mir wirklich nicht mehr dazu ein. Obwohl ich normalerweise solche Ausdrucksweisen, nicht nur meinen Kindern, sondern auch mir, verboten habe, hörte ich mich sagen:

“Sie haben so recht! Das ist echt, alles eine verdammte Scheiße!“

Mit großen Augen und wie vom Donner gerührt, sah sie mich an. Plötzlich lachte sie, so gut es ihr kurzer Atem zuließ, laut auf:“ Mein Gott, Frau Frey, was habe sie recht. Das ist wirklich alles eine verdammte Scheiße!“

Sie lachte und lachte, dass ich schon Sorge hatte der Sauerstoffkasten neben ihr würde kollabieren. Aber sie strahlte mich an, wie ein kleines Kind, das heimlich Schokolade genascht hatte. „Endlich mal jemand der nicht ewig um den heißen Brei redet. Ich kann das ganze Geschwafel der anderen schon nicht mehr hören. Danke Frau Frey das tut wirklich gut.“

Heißer Draht zum Himmel

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Bei einer Patientin erlebte ich eine so wunderbar herzliche,
kindliche Szene, die zeigt, wie unbefangen Kinder mit dem Tod
umgehen, wenn man sie nur lässt.
Die kleine Tosca, ein Mädchen von ca. 5 Jahren, blonder
Lockenkopf mit roten Backen, besuchte ihre Oma im Hospiz.

Mit einem forschen Blick stellte sie sich an das Kopfende des
Krankenbettes und betrachtete die alte Dame, die ihrem Ende
entgegensah.

„Oma“, sagte sie ganz liebevoll, „Mama hat gesagt du gehst
jetzt dann zum Opa in den Himmel rauf. Aber sie hat auch gesagt,
dass ich da jetzt noch nicht mitkommen kann. Ich muss erst selber
eine Oma werden. Stimmt das?“ Mit einem verschmitzten Lächeln
deutete das kleine Mädchen nun auf einen Brief. Bunte Herzchen
und Rosen zierten den kleinen Zettel. Nun hielt sie ihrer Oma das
wertvolle Kunstwerk direkt vor die Nase. „Nimm doch bitte den
Brief mit. Der ist für den Opa.“ „Was steht denn drin?“ „Das ist
mein Wunschzettel für das Christkind. Opa muss Bescheid sagen,
dass mein Schlitten immer noch kaputt ist. Da muss mir das
Christkind einen neuen bringen. Weil doch der liebe Gott jetzt
meinen Opa hat. Der kann meinen Schlitten ja nicht mehr
kleben.“

Mit einem herzhaften Lachen nahm die Oma den Brief,
versprach der Kleinen den Auftrag auszuführen. Sicherlich fand sich
am Heiligen Abend ein neuer Schlitten unter dem Weihnachtsbaum,
direkt organisiert durch Opa‘s heißen Draht zum Christkind.

Keiner kommt hier lebend raus!

Auch wenn wir ihn nicht wollen, den bösen Tod, eine statistische Tatsache ist, dass in jeder Sekunde 1,8 Menschen auf dieser Erde sterben. Mehr als 150.000 Menschen sterben innerhalb von 24 Stunden.

Das bedeutet, während Sie jetzt diesen Satz zu Ende gelesen haben, dass bereits zwei Menschen verstorben sind. Der nächste Satz würde dann bedeuten… Oh, jetzt sind es schon vier, dann sind wir ganz schnell bei sechs, und eh man sich umsieht, geht das Sterben im Zweisekundentakt weiter.

Der Tod ist allgegenwärtig und das Irrsinnige ist, wir bekommen davon oft gar nichts mit. Zeitlich und räumlich sind die Toten für uns schon fast unsichtbar, so unterschiedlich verteilt, dass wir in unserem normalen Alltag das Sterben nicht bemerken.

Das Sterben fällt uns erst dann auf, wenn entweder in unserer direkten, unmittelbarer Nähe gestorben wird oder wenn viele Menschen auf einmal sterben. Das können wir beobachten, wenn sich ein großes Unglück ereignet. Eine Überflutung, ein Erdbeben oder ein Flugzeugabsturz und wir sind in unseren heilen Weilt erschüttert. Plötzlich bemerken wir ihn, den Tod, und dass er gar nicht soweit von uns entfernt ist.

Der Tod schafft es auch nur in die Nachrichten, wenn viele Menschen auf einmal ihr Leben verlieren, oder wenn ein Filmstar oder Politiker zu Tode kommt. Um genügend Aufmerksamkeit zu bekommen, muss der Tod schon zur Schlagzeile taugen.

Wie wäre es, wenn tatsächlich für 24 Stunden nirgendwo auf der Welt jemand über den Jordan gehen würde und dafür am nächsten Tag alle auf einmal? Das wäre ein regelrechter Schock. Wir würden ziemlich doof aus der Wäsche schauen bei soviel Leichen.

Das wären circa 155.520 Menschen auf einmal. Das entspricht der gesamten Bevölkerung der Stadt Regensburg in Bayern. Würde man die Toten aneinander reihen, also der Länge nach, dann gäbe das eine Strecke von circa. 264 km. Das entspricht einer dreistündigen Reise von Bremen nach Düsseldorf. Ohne Berufsverkehr oder Stau. An einem einzigen Tag!

Der Tod ist präsenter als wir glauben, nur nehmen wir ihn nicht gerne bewusst wahr.

„Wenn du mehr auf Beerdigungen gehst als auf Partys, dann merkst du, dass du alt bist!“, so die Quintessenz meiner Tante Franziska. „Ab einem gewissen Alter trifft man seine Freunde eher in der Aussegnungshalle als in der Disco.“ So unrecht hat die gute Tante Franziska gar nicht.

Ab einem gewissen Alter ist man näher dran. Die Eltern unserer Freunde sterben. Die Weggefährten der letzten Jahrzehnte werden immer weniger. Ja, da fällt uns schleichend auf, dass auch wir sterblich sind. Da bemerken wir ihn, den Burschen mit der Sense.

Dem Tod den Stinkefinger zeigen

Bau Dein letztes Haus selbst.

So heißt der Workshop den ein Hospizverein anbietet. Kein Witz! Es ist total angesagt sich sein letztes Untergrund-Möbel selbst zu bauen und zu gestalten. Manche basteln den Sarg entsprechend der Wohnzimmer Möbel, passend in Farbe und Form, zweckmäßig als Aktenschrank verbaut, oder als Sideboard für den High-Tech-Fernseher. Auch als Bücherregal oder Stauraum für die Gartenpolster kommt die eine oder andere Totenkiste noch vor dem wirklichem Einsatz zur Geltung und macht sich, zwar zweckentfremdet, aber immerhin vorzeitig, nützlich.

Im Zeitalter des Umweltschutzes und der Wiederverwendbarkeit kein so abwegiger Gedanke. Ich meine, was ist schon schlimmes daran sich auf den Tod vorzubereiten? Schließlich bereitet sich man ja auch auf eine Geburt vor. Plant das Kinderzimmer, das Bettchen und die Ausstattung.

Ein weiteres Argument ist rein wirtschaftlicher Natur. Es ist definitiv günstiger selbst zu schreinern und dabei auch noch absolut individuell. Bei meinen Recherchen bin ich auf eine super lustige Seniorentruppe in Neuseeland gestoßen, die ihre Särge bunt bemalen, mit Elvis Bildern verzieren oder passend zur pinkfarbenen Perücke lackieren. Schauen Sie doch einfach mal in das Video rein. Sehr inspirierend die Damen und Herren!

https://www.nationalgeographic.com/news/2017/10/new-zealand-coffin-club-death-music-spd/

Auch in meinem Buch finden Sie ein Kapitel in dem es genau beschrieben ist worauf man beim Sargbau achten sollte und welche Regeln und Maßnahmen zu befolgen sind.

Natürlich kann man es aber genauso machen wie meine liebe alte Damen die ich aktuell begleite. Als ich vor ein paar Tagen bei ihr war redeten wir auch über Bestattungen. „Ich habe letztens einen wirklich lustigen Spruch gelesen. Und nachdem ich verbrannt werden möchte, passt er hervorragend zu mir.“ Darauf hin deutete sie in einer Zeitschrift auf folgende Zeilen:

Wenn ich tod bin, möchte ich verbrannt werden und die Asche ans Finanzamt geschickt mit den Worten: „Das war der Rest, jetzt habt ihr alles!“

So einfach wird jeder von uns Privatpatient!

Wußten Sie schon, wenn jemand verstorben ist, er automatisch zum Privatpatienten wird? Die Kosten für die gesetzlich vorgeschriebene Leichenschau werden von keiner Krankenkasse übernommen. Die Kosten haben die Angehörigen bzw. Erben zu tragen. Besonders teuer wird es, wenn sich der Verstorbene ein Wochenende oder die Abendstunden zum Sterben ausgesucht hat. Da berechnet der Arzt einen Sonderzuschlag für seine gestörteNachtruhe. Obwohl ich nicht sicher bin, ob es tatsächlich notwendig ist morgens um 3.00 Uhr den Tod festzustellen? Das geht doch nach dem Frühstück sicher auch noch, oder?

Noch etwas tiefer in die Tasche müssen Sie, beziehungsweise Ihre Angehörigen greifen, sollte man im Bundesland Bremen das Zeitliche segnen. Dann kommen noch die Kosten eines Rechtsmediziners dazu, denn dort geht man davon aus, dass ein „normaler Arzt“ nicht erkennen kann, ob ein Gewaltverbrechen besteht, oder ob es einfach grundsätzlich an der Zeit war von dieser Erde abzutreten.

Bremen ist also einziges Land mit verlässlicher Leichenschau? Die fachlichen Qualifikationen ist also nicht in allen Bundesländern gegeben, werden aber trotzdem vergütet?

Irgendwie habe ich das nicht so ganz verstanden…

Tagesschau vom 31.07.2019: Ab 1. Januar gelten neue Gebühren. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministerium wird die Leichenschau künftig differenzierter vergütet. Die vorgeschriebene Leichenschau ist eine ärztliche Leistung „unter Wahrung der Pietät besonderer Sorgfalt einschließlich des hierfür notwendigen Zeitaufwandes und fachlicher Qualifikation bedarf“. Die jetzige Höhe der Gebühren entspreche den Anforderungen nicht mehr, so das Ministerium. Für eine vorläufige Leichenschau wäre ab jetzt 110,15 € fällig, für eine eingehende Untersuchung 156,77 €. Hinzu kommen Zuschläge, etwa für die Anfahrt, besondere Umstände wie Nacht- oder Wochenende. Die Änderungen bedeuten bis zu 254,00 € mehr pro Todesfall. Die Krankenkassen bezahlen das nicht. Wer stirbt, wird derzeit automatisch zum Privatpatienten. Das Bundesgesundheitsministerium plant diesbezüglich auch keine Änderungen. Die Gebühren seien weiter von den Angehörigen und Erben zu tragen. Im Bundesland Bremen gibt es zudem noch die qualifizierte Leichenschau. Dort muss jeder Verstorbene zusätzlich von einem Rechtsmediziner oder einem dafür weitergebildeten Klinikarzt äußerlich untersucht werden. Die Gebühren von 187,00 € zzügl. MwSt. müssen auch hier die Angehörigen tragen.

Mehr Zeit mit glücklich sein verplempern…

Als ich gestern wieder bei meiner lieben alten Dame war, durfte ich für mich erneut erkennen, warum ich dieses Ehrenamt mache.

Sie saß, wie fast immer, an ihrem kleinen Tischchen in der Küche die hoffnungslos vollgestellt ist mit allen möglichen Dingen. Es fällt ihr schwer loszulassen. Ob es jetzt die vielen wackelig aufgehängten Bilder an der Wand sind oder die längst nicht mehr benutzten Kinderbecher mit den bunten Disneyfiguren. Überall stapeln sich ungelesene Werbeprospekte, Zeitschriften und alte Briefkuvere. Dort steht ein vertrockneter Blumentopf im abgewetztem Keramik und hier liegt ein vergilbtes Deckchen mit Kaffeeflecken.

Wie immer quatschen wir über Gott und die Welt während sie Ihre vielen Tabletten, die vor ihr liegen, von einer Seite zur anderen schiebt. „Manchmal kann ich mich gar nicht entscheiden, welche ich zuerst nehmen soll. Die sind ja alle so bunt und welcher Farbe soll ich jetzt den Vorzug geben?“ Völlig unvermittelt stellt sie diese Frage in den Raum.

„Und genau das ist das Problem. Ich habe immer gezögert, mir immer nur die Misserfolge und das Scheitern vor Augen gehalten. Das ist doch doof, oder? Warum neigen wir dazu Erfolge als normal hinzunehmen, Scheitern hingegen als großes Drama. Ich hätte mehr Zeit mit glücklich sein verplempern sollen anstatt mich immer wieder zu fragen, was ich falsch gemacht habe.“

Auf meinem Nachhauseweg gingen mir diese Sätze noch lange durch den Kopf. Stimmt. Meistens beschäftige ich mich damit was alles nicht geklappt hat. Was nicht nach meinem Kopf gegangen ist oder was alles noch zu tun ist. Mein Gelingen bewerte ich als selbstverständlich und meine Fehler als Unvermögen.

Um meine liebe alte Dame zu zitieren: „ Das ist doch doof, oder?“

Turnen an den Urnen

Einige Friedhöfe sind neuerdings beliebte Rückzugsorte für gestresste Städter und haben eine große Bedeutung als Erholungsflächen bekommen.

In Berlin habe ich tatsächlich einen als Freizeitpark genutzten Friedhof entdeckt. Da toben Kinder zwischen den Grabsteinen, Picknickdecken werden ausgebreitet, um gemeinsam die Sonne und die Natur zu genießen. Zugegeben, es spricht einiges dafür, dass immer mehr Großstädter die Ruhe des Friedhofs für sich nutzen. Sind es doch meist schöne Grünflächen, sorgfältig von der Friedhofsverwaltung gepflegt und reich an altem Baumbestand. Noch dazu mitten in der Stadt und leicht zu erreichen. Trotzdem finde ich es erstaunlich, dass sich niemand daran stört, inmitten Verstorbener sein Schnitzel zu grillen, den Liegestuhl aufzubauen oder auf den Grabsteinen herumzuklettern. Wie erklärt sich sonst ein Hinweisschild am Eingang des Friedhofes, auf dem wahrhaftig steht: „Grillen verboten! Das Klettern auf den Grabsteinen ist untersagt! Fahrräder, Kinderwagen und Liegestühle dürfen nicht auf dem Gelände abgestellt werden!