Klare Ansage, klare Worte …

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Ach Du liebe Güte, ist die hässlich!“ Mein lieber alter Herr den ich gerade begleite, ist echt der Hammer. Mit genau diesen Worten hat er mir von seiner neuen Putzhilfe erzählt. „Stellen sie sich vor Frau Frey, die hat sich auch noch vermehrt! Sie hat zwei Kinder! Was sagt man dazu…“ Na ja, ein Blatt hat er noch nie vor den Mund genommen und immer genau das ausgesprochen, was er denkt. Jedoch immer in seiner eigenen Sprache. Höflich, diszipliniert und mit einem eleganten Unterton. “Manche Menschen sind mit solch einer herrlich ignoranten Dummheit gesegnet, dass sie ihre eigene Lächerlichkeit nicht bemerken.“

Selbst eine Beleidigung aus seinem Munde hört sich wie eine Schmeichelei an.

Neulich erst beschwerte er sich über einen Mitarbeiter der Pflegekasse: „Bei manchen Menschen habe ich das Gefühl, dass der Hirntod jahrelang unbemerkt bleibt. In seinem Kopf mag das ja logisch sein was er da von sich gibt, aber ich bin hier draußen.“ Stets gepflegt, den Bart frisch gestutzt, mit akkurat gebügeltem Hemd und Bundfaltenhose. Als er mir von der neuen Zugehfrau und seinem Entsetzen über ihre Hässlichkeit erzählte, bin ich vor Lachen fast vom Stuhl gekippt. Unschlagbar, der nicht geplante Wortwitz, urkomisch in der Betonung und mit einer ungewollten Komik, die jeden modernen Comedian an die Wand stellt.

Er weiß gar nicht, wie lustig er ist. Und genau das macht es so witzig.

Er ist ein liebevoller Nörgler an allem und jedem Menschenbeobachter und merkt sich diffizil jede Kleinigkeit. Nur nicht an mir. Bei mir passt es wohl.

Gut so, denn auch ich habe ihn in mein Herz geschlossen.

So sehr, dass ich ihn manchmal in Geschenkpapier einpacken und mit nach Hause nehmen möchte. Aber das geht natürlich nicht, denn wir werden nicht mehr lange meine Besuche zelebrieren können. Nächste Woche geht er ins Hospiz. Manchmal verdränge ich, dass ich er bald sterben wird. Zu sehr mag ich seine Art und Erscheinung, von der es leider immer weniger gibt.

Ich werde ich vermissen …

Warum machst Du das? Eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird. Ja, warum mache ich das? Vielleicht, weil es in meinen Begleitungen Menschen gibt, die aus einem ganz normalen hektischem Tag etwas besonders machen. Vielleicht, weil ich immer wieder mit der Nase darauf gestoßen werde, dass es nicht selbstverständlich ist, einen guten Tag zu haben? Vielleicht weil ich dadurch zur Ruhe komme?

Bei jeder Begleitung lerne ich unglaublich viel über das Leben. Aber auch über das Loslassen. Manchmal stoße ich an meine Grenzen und muss mich neuen Herausforderungen stellen. Das wirft mich aus meiner Komfortzone, zwingt mich genauer hinzusehen, innezuhalten, mitten im Strudel der Termine, Verpflichtungen und Erwartungen.

Es tut gut, nichts und doch so vieles machen zu dürfen …

Eines bleibt aber immer gleich. Bei meinen Besuchen lasse ich mich ganz bewusst auf die Situation ein, akzeptiere das, was ist und das, was kommt. In meinem persönlichen Alltag gelingt mir das komischer Weise nicht immer. Während des Lockdowns wurde ich und vermutlich auch Sie, dazu gezwungen, ruhiger zu werden, den Tag anders einzuteilen, die Stille zu akzeptieren.

Jetzt füllt sich mein Terminkalender wieder und mit ihm das Tempo in meinen Tagen. Wenn ich bei Herrn Bayer oder bei meiner lieben alten Dame bin, komme ich zur Ruhe, höre zu, bin einfach nur da. Für ein paar Stunden bin ich raus aus meinem Alltag und nur für mein Gegenüber und meine Aufgabe da. Das hilft mir, mich und meine Verpflichtungen nicht so wichtig zu nehmen. Vielleicht ist es das, woraus ich Kraft schöpfe. Vielleicht ist es aber der schonungslose Blick in die meine eigene Vergänglichkeit, die mich demütiger werden lässt und mir meine Grenzen zeigt.

Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es mich einmal nicht mehr gibt!

Auch wenn es mir so gar nicht gefällt. Selbst ich werde einmal an der anderen Seite sitzen und darauf hoffen, dass mein Gegenüber mir zuhört und für wenige Augenblicke vergisst, dass ich alt bin und sterben werde. So wie ich bei Herrn Berger …

„Jetzt nehmen sie doch die Maske ab! Ich sterbe ja sowieso.“

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Das ist mal eine klare Ansage, wie ich finde. Zugegebenermaßen etwas verlockend, denn die kratzige Maske nervt. Auch erschwert sie mir meinen Vortrag, denn ich bin gerade dabei, einer meiner liebsten Weihnachtsgeschichten zum Besten zu geben. Mit kräftiger Stimme manövriere ich mich durch die humorvolle Erzählung und kämpfe mit einer gewissen Mundtrockenheit, hervorgerufen durch die laute Plärrerei.

Es ginge normalerweise etwas gefühlvoller und in feiner Erzählstimme.

In Zeiten von Corona muss ich mir aber anders behelfen und etwas mehr Druck geben, damit mein ohnehin etwas schwerhöriges Gegenüber wenigstens ein klein wenig Weihnachtsstimmung erhaschen kann. Irgendwie komme ich mir auch ziemlich blöd vor, weil ich meine Begleitung so „anschreien“ muss und mehr mit den Händen gestikuliere als sonst.

Aber es hilft ja nichts…

Zugegeben, es strengt mich an, aber nachdem ich aktuell auf der Bühne meine Phonetik nicht anwenden kann, sehe ich es als gewisse Übung. Ok, ich rede es mir gerade schön zugegeben, aber es tröstet mich darüber hinweg, dass ich mit halbverdecktem Gesicht und im Brüllmodus einem kranken Menschen gegenübersitze, dessen Weihnachten wohl das Letzte sein wird.

Trotzdem behält sie ihren feinen Humor und beschwert sich lächelnd:“ Dieser Coronavirus ist das erste „Made in China Zeug“, dass nicht nach drei Wochen kaputt geht. Wissen Sie, es macht mir wirklich nichts aus, wenn Sie keine Maske aufhaben. Jetzt tun Sie doch das Ding runter.“

Jetzt bin ich in der Zwickmühle!

„Es gibt aber eine Maskenpflicht und die möchte ich auf jeden Fall einhalten. Außerdem möchte ich Sie nicht unwissentlich anstecken und in Gefahr bringen, an diesem Virus zu erkranken. Deswegen ist es mir lieber, den Mund-Nasen-Schutz zu tragen.“ Meine Verteidigung findet wenig Anklang. „Aber Frau Frey, es ist doch egal, woran ich sterbe. Viel Zeit bleibt mir eh nicht mehr. Dann ist es eben der Virus, oder?“

Grundsätzlich versuche ich gute Laune zu verbreiten, keine Angst zu machen, meine Begleitungen zu unterstützen und keine großen Diskussionen vom Zaun zu brechen.

Dieses Mal muss ich aber über meinen Schatten springen und meine liebe alte Dame, sie ist 89, eines Besseren belehren.

„Ich habe großen Respekt vor dem Leben und ich wünsche Ihnen und mir einen ruhigen und würdevollen Tod. Vielleicht dürfen wir ja friedlich in unserem Bett einschlafen, ohne große Schmerzen und Qual. Es könnte auch sein, dass sich der Sterbeprozess, so wie er normalerweise stattfindet, etwas hinauszögert und wir unsere liebsten Menschen händchenhaltend verabschieden. Voller Liebe und Nähe, mit guten Wünschen und zärtlichen letzten Worten. Wenn es schon sein muss, dann wünsche ich mir das.“

Sie sieht mich mit großen Augen an.

„Aber wenn Sie an diesem Virus erkranken, dann sterben Sie isoliert, ohne Kontakt mit anderen, umgeben von einem fremden Pflegepersonal, dessen Gesicht Sie nie sehen werden. Eine grausame Atemnot zwingt Sie an einem Apparat, der Ihre Sauerstoffzufuhr regelt und sie bäuchlings vermutlich als einer der Letzten Dinge in Ihrem Leben, den sterilen Klinikboden sehen.

Das wünsche ich Ihnen, mir und sonst niemanden. Und genau deswegen werde ich die Maske nicht abnehmen!“