„Wie ist die denn in Echt?“

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Ich bin wieder im Einsatz. Die allgemeinen Lockerungen erlauben es mir, dass ich ambulant begleiten darf und Hausbesuche wieder möglich sind. Für meine neue Begleitung bekomme ich die notwendigen Daten und Informationen von meiner Koordinatorin Sabine: „Frau Huber, 55 Jahre, keine Kinder. Die Chemo wurde abgebrochen, starke Übelkeit und Schwindel.“ „Was hat sie denn für einen Krebs?“ frage ich zurück. „Lungenkrebs“ antwortet Sabine und zündet sich genüsslich eine Zigarette an. Ja, auch wir Hospizhelfer haben unsere kleinen Schwächen.

Vorschriftsmäßig mit Mundschutz, Handschuhen und alles ordentlich desinfiziert stellte ich mich zum ersten Mal der Familie vor.

Doch es gab einige Hürden zu überwinden.

Nur mit ausschließlichem Augenkontakt und ohne jegliche Mimik ist es nicht so einfach, ein Gespräch mit einer schwerkranken Frau zu starten. Aber scheinbar empfand das nur ich so, denn kaum saß ich auf der Wohnzimmercouch, schon gingen die Fragen an mich los.

Frau Huber wollte alles wissen.

Wie geht das Sterben? Was kann man tun, um sich vorzubereiten? Wie lange wird es noch dauern? Welche Maßnahmen sind am Ende noch möglich? Und, und, und…

Ehrlich gesagt, ich fühlte mich etwas überfordert. Weder kannte ich die Frau, noch deren Mann, der neben ihr saß und die ganzen Fragen mithörte. Konnte ich die Dinge beim Namen nennen? Ist es eine gute Idee, die Beerdigung anzusprechen? Sollte ich Maßnahmen, die am Lebensende vielleicht noch möglich sind, erklären?

In kürzester Zeit musste ich mich entscheiden, inwieweit mein Gegenüber die Wahrheit verkraften konnte. Ich kannte die beiden ja erst wenige Minuten. Ob der Ehemann meine Offenheit verkraftet?

Dann fiel mir ein Satz ein, den ich irgendwo aufgeschnappt hatte

„Alles hat seine Zeit und seinen Platz. Für heute lassen Sie uns doch über das Reden, was ich momentan für sie tun kann. Die anderen Fragen können wir gerne später klären.“

„Das ist eine gute Idee! Da gäbe es schon etwas, was sie für mich tun können. Würden sie bitte kurz ihre Maske für mich abnehmen, damit ich ihr Gesicht sehen kann?“

Um die Anwesenden zu schützen, stelle ich mich kurz auf den Balkon und nahm meine Maske ab. Zu meiner Überraschung strahlte mich Frau Huber bis über beide Ohren an. Ihr Mann hielt sie fest umarmt und grinste ebenfalls. Warum reagierten die zwei derart belustigt über mein Gesicht? Ich hatte keine Ahnung. Vielleicht hatte ich noch etwas vom Mittagessen am Kinn? Oder färbt meine grüne selbst genähte Maske ab? Oh, wie peinlich. Ich ärgerte mich, dass ich vor dem Besuch keinen „Spiegelkontrollblick“ vorgenommen hatte, und gelobte mir selbst feierlich Verbesserung.

Jetzt wurde ich richtig unsicher …

Dann rief sie mir entzückt aus der Entfernung zu: „Ich kenne sie! Schon oft habe ich sie im Theater gesehen und ich habe in Ihren Stücken so viel gelacht. Sie haben mir immer so viel Freude gemacht. Und ich wollte immer schon mal wissen – wie ist denn eine Schauspielerin in Echt ?“

Sie stellte mir viele Fragen zu meinem Beruf, lachte, war gelöst und freute sich einfach, dass ich bei ihr im Wohnzimmer saß.

Es fühlte sich gut für mich an.

Nach den vielen Diskussionen um Systemrelevanz, um halb offene oder geschlossenen Theaterbetriebe, TV Produktionen mit Abstandsregelung, Konzerthallen die keine Zuhörerschaft haben. Jetzt der Beweis wie wichtig Kunst für Menschen ist. Wie oft das Publikum die Geschichten mit uns lebt, mit uns weint und vor allem auch mit uns lacht…

Und ich konnte einen kleinen Betrag dazu leisten. Wie schön.

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