Klare Ansage, klare Worte …

Lesezeit 2 Minuten

Ach Du liebe Güte, ist die hässlich!“ Mein lieber alter Herr den ich gerade begleite, ist echt der Hammer. Mit genau diesen Worten hat er mir von seiner neuen Putzhilfe erzählt. „Stellen sie sich vor Frau Frey, die hat sich auch noch vermehrt! Sie hat zwei Kinder! Was sagt man dazu…“ Na ja, ein Blatt hat er noch nie vor den Mund genommen und immer genau das ausgesprochen, was er denkt. Jedoch immer in seiner eigenen Sprache. Höflich, diszipliniert und mit einem eleganten Unterton. “Manche Menschen sind mit solch einer herrlich ignoranten Dummheit gesegnet, dass sie ihre eigene Lächerlichkeit nicht bemerken.“

Selbst eine Beleidigung aus seinem Munde hört sich wie eine Schmeichelei an.

Neulich erst beschwerte er sich über einen Mitarbeiter der Pflegekasse: „Bei manchen Menschen habe ich das Gefühl, dass der Hirntod jahrelang unbemerkt bleibt. In seinem Kopf mag das ja logisch sein was er da von sich gibt, aber ich bin hier draußen.“ Stets gepflegt, den Bart frisch gestutzt, mit akkurat gebügeltem Hemd und Bundfaltenhose. Als er mir von der neuen Zugehfrau und seinem Entsetzen über ihre Hässlichkeit erzählte, bin ich vor Lachen fast vom Stuhl gekippt. Unschlagbar, der nicht geplante Wortwitz, urkomisch in der Betonung und mit einer ungewollten Komik, die jeden modernen Comedian an die Wand stellt.

Er weiß gar nicht, wie lustig er ist. Und genau das macht es so witzig.

Er ist ein liebevoller Nörgler an allem und jedem Menschenbeobachter und merkt sich diffizil jede Kleinigkeit. Nur nicht an mir. Bei mir passt es wohl.

Gut so, denn auch ich habe ihn in mein Herz geschlossen.

So sehr, dass ich ihn manchmal in Geschenkpapier einpacken und mit nach Hause nehmen möchte. Aber das geht natürlich nicht, denn wir werden nicht mehr lange meine Besuche zelebrieren können. Nächste Woche geht er ins Hospiz. Manchmal verdränge ich, dass ich er bald sterben wird. Zu sehr mag ich seine Art und Erscheinung, von der es leider immer weniger gibt.

Ich werde ich vermissen …

Warum machst Du das? Eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird. Ja, warum mache ich das? Vielleicht, weil es in meinen Begleitungen Menschen gibt, die aus einem ganz normalen hektischem Tag etwas besonders machen. Vielleicht, weil ich immer wieder mit der Nase darauf gestoßen werde, dass es nicht selbstverständlich ist, einen guten Tag zu haben? Vielleicht weil ich dadurch zur Ruhe komme?

Bei jeder Begleitung lerne ich unglaublich viel über das Leben. Aber auch über das Loslassen. Manchmal stoße ich an meine Grenzen und muss mich neuen Herausforderungen stellen. Das wirft mich aus meiner Komfortzone, zwingt mich genauer hinzusehen, innezuhalten, mitten im Strudel der Termine, Verpflichtungen und Erwartungen.

Es tut gut, nichts und doch so vieles machen zu dürfen …

Eines bleibt aber immer gleich. Bei meinen Besuchen lasse ich mich ganz bewusst auf die Situation ein, akzeptiere das, was ist und das, was kommt. In meinem persönlichen Alltag gelingt mir das komischer Weise nicht immer. Während des Lockdowns wurde ich und vermutlich auch Sie, dazu gezwungen, ruhiger zu werden, den Tag anders einzuteilen, die Stille zu akzeptieren.

Jetzt füllt sich mein Terminkalender wieder und mit ihm das Tempo in meinen Tagen. Wenn ich bei Herrn Bayer oder bei meiner lieben alten Dame bin, komme ich zur Ruhe, höre zu, bin einfach nur da. Für ein paar Stunden bin ich raus aus meinem Alltag und nur für mein Gegenüber und meine Aufgabe da. Das hilft mir, mich und meine Verpflichtungen nicht so wichtig zu nehmen. Vielleicht ist es das, woraus ich Kraft schöpfe. Vielleicht ist es aber der schonungslose Blick in die meine eigene Vergänglichkeit, die mich demütiger werden lässt und mir meine Grenzen zeigt.

Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es mich einmal nicht mehr gibt!

Auch wenn es mir so gar nicht gefällt. Selbst ich werde einmal an der anderen Seite sitzen und darauf hoffen, dass mein Gegenüber mir zuhört und für wenige Augenblicke vergisst, dass ich alt bin und sterben werde. So wie ich bei Herrn Berger …

High auf Rezept

Lesezeit: 2 Minuten

„Ach, mir machen die Darmspiegelungen nichts aus. Im Gegenteil. Ich mag das Narkosemittel, da schläft man so schön schnell ein. Und vorher dieses feine Säftchen. Wenn man das Beruhigungsmittel erst mal eingenommen hat, obwohl ich das gar nicht bräuchte, weil ich nicht aufgeregt bin, dann erinnert mich das an meinen ersten Joint. Damals war ich noch ganz jung, als ich das mal ausprobiert habe. Ich kenne das Gefühl, wenn alles so „wegschwebt“. Schon irgendwie schön. Heute rauche ich natürlich schon lange keine Joints mehr. Ne, das bringt doch auf Dauer nichts und Alkohol habe ich noch nie getrunken.“

Ich dachte, ich hör nicht richtig!

Da hatte meine liebe alte Dame sich doch gerade als ehemalige Kifferin geoutet. Obwohl weit über siebzig, ist sie trotzdem immer noch rüstig und geistig fit. Wenn ich sie mir so ansehe mit ihren grauen, strubbeligen kurzen Haaren und den vielen feinen Falten im Gesicht, dann passiert es mir schon, dass ich vergesse das sie früher einmal jung gewesen ist. Ein unbedarftes Mädchen, das seinen Spaß hatte, seine ganz eigenen Dummheiten machte und viele Höhen und vielleicht auch besondere Herausforderungen erlebt hat.

Dann werde ich neugierig, versuche sie mir als junge Frau vorzustellen. Wie war Ihre Vergangenheit? Was hat sie erlebt? Welche Ziele hatte sie und wer hat ihren Weg begleitet?

Ich frage nach, interessiere mich für ihre Biografie und bekomme zur Belohnung wunderbare Geschichten zu hören.

Von meiner lieben alten Dame erfuhr ich, dass sie eine hervorragende Hochleistungssportlerin gewesen ist. Mit leuchtenden Augen erzählte sie mir von ihren vielen Reisen, zu den Olympischen Spielen 1960 in Rom und auch 1964 in Tokio. Sie hatte als großartige Sportlerin gute Erfolge erzielt und wertvolle Auszeichnungen erhalten. So vieles hatte sie erlebt, gesehen, wurde Zeitzeugin der Geschichte und Bewahrerin eines ganz besonderen Erfahrungsschatzes.

„Ach das Leben vergeht so schnell und das Dumme ist, das man es erst im Alter versteht, wie schnell.“

Manchmal frage ich mich: „Ab wann merkt man denn eigentlich, dass man alt wird?“ Keine Ahnung, aber die Vorstellung, dass mein Highlight einmal das Beruhigungsäftchen des Endokrinologen sein soll, macht mir schon etwas Bauchweh.

Neulich hat mir ein sehr freundlicher Jugendlicher seinen Platz in der U-Bahn angeboten. Eigentlich eine nette Geste, so höflich und wohlerzogen. Ich hingegen war doch etwas, um es milde auszudrücken, überrascht. Sehe ich wirklich so aus, als würde mir das Stehen Schwierigkeiten bereiten? Ich wollte doch nur mal wieder meine gemütlichen Birkenstock gegen die eleganten Halbschuhe mit den 2 cm hohen Absätzen austauschen. Ok, manchmal, wenn ich mich bücke, um die Schuhbänder an meinen Walkingschuhen zu binden, denke ich mir schon hin und wieder: „Wenn ich schon mal hier unten bin, was gibts denn da sonst noch so zu tun?“

Geht es Ihnen auch so? Irgendwie finde ich, sind Leute in meinem Alter älter als ich.

Wenn ich Freunde nach längerer Zeit nicht mehr gesehen habe, denke ich des Öfteren so bei mir: „Ups, da ist jetzt aber jemand alt geworden.“ Und damit meine ich nicht mich … Vermutlich denkt sich mein Gegenüber in jenem Moment genau dasselbe. Urlaubsfotos im schicken Badeanzug sind da ebenfalls ein erbarmungsloses Mittel um deutlich zu erkennen, dass die netten Dreißiger doch schon klar durchschritten sind. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Zeit schneller rennt als Forrest Gump. Vermutlich, ehe ich mich umschaue, verprasse ich meine Rente im Seniorenheim und erzähle jedem der es hören will von vergangenen Zeiten.

Also, von den Olympischen Spielen werde ich später leider keine persönlichen Ereignisse berichten können, aber dafür eine ganze Menge anderer Dinge. Meine größte Hoffnung ist, dass es nicht nur der Endokrinologe ist, der mir gegenüber sitzt und sich dafür interessiert.

Deswegen …

Fragen Sie doch einfach mal bei Ihren Senioren nach, Sie werden staunen, welche Anekdoten da zutage kommen! Ob es meine liebe alte Dame als ehemalige Sportlerin, die ab und zu mal einen Joint geraucht hat, toppen kann? Schreiben Sie es mir einfach mal als Kommentar. Ich freue mich darauf!