Letzter Tipp von Frau Müller: „Keine Daueraufträge!“

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Eine außergewöhnliche und rührende Liebesgeschichte habe ich bei einem alten Ehepaar erlebt. Frau Müller wurde mit Leukämie ins Hospiz eingeliefert und ab diesem Zeitpunkt war auch immer ihr Mann an ihrer Seite. Die beiden hatten  unsagbar wunderbare, humorvolle Gespräche miteinander. Ständig schimpften sie auf liebevolle und witzige Weise miteinander, nahmen sich und den herannahenden Tod fortwährend auf die Schippe.

Sie erzählten sich die unendlichen Geschichten eines Ehepaares, lebten die vielen vergangenen Jahrzehnte gemeinsam noch einmal durch.

„Weißt du noch, damals….“ Es ging von einem Thema zum anderen, vom ersten Kennenlernen bis zur gemeinsamen Wohnung. „Weißt du noch, die Wohnung, die erste war so winzig… Später hatten wir dann eine richtig schöne… und dann das alte Auto, wo du immer die Batterie morgens aufladen musstest… Ach, was war das für eine schöne Zeit…“ Sie kicherten wie zwei verliebte Teenager. „Ach und wie die Kinder dann in die Schule gekommen sind. Was war ich stolz, als ich unser erstes Enkelkind auf dem Arm hatte.“ „Wieso bist du denn da stolz? Da haben wir ja gar nichts dazu getan.“ „Ach Klaus, das sagt man doch nur so.“

„Na gut, wenn du meinst.“ „Aber mit den Enkelkindern da haben wir wirklich Glück.“

Sie redeten über das Sterben und über das Danach.

       „Schatz, wenn ich gestorben bin, dann mach bitte keine Daueraufträge.“ „Wieso das denn?“ „ Du musst immer zur Bank gehen und alles selbst ausfüllen und überweisen. Das hab ich dir doch gezeigt, wie das geht. Wenn du einen Dauerauftrag hast und nicht mehr aus dem Haus und zur Bank gehst, dann fällt es auch keinem auf, wenn Du nicht mehr aus der Wohnung kommst. Herrjeh, dann liegst du da vielleicht ewig in der Wohnung und keinem fällt es auf.“ „Na gut, ich mache keine Daueraufträge.“ „Gut so Klaus.“

Das Sterbebett wurde zum Treffpunkt der Familie. Kinder und Enkelkinder kamen so oft wie möglich. Von weit her reisten Verwandte an, um sich von der kleinen Frau mit den himmelblauen Knopfaugen zu verabschieden. Das Zimmer war überfüllt mit Blumen, Kinderzeichnungen, Selbstgebasteltem,  vielen liebevollen Dingen und man spürte, wie sehr diese alte Dame und ihr herzensguter Ehemann geliebt wurden.

       „Ach du liebe Güte, ich wusste gar nicht, dass wir so viele Verwandte haben!“, hörte ich sie einmal ihre Liebsten begrüßen. „Na, dann kommt mal rein in die gute Stube.“

Es wurde gelacht und geweint, erzählt, umarmt

Immer war eine herzliche Wärme und Geborgenheit zu spüren, wenn ich in das Zimmer kam.

Als es dann mit ihr zu Ende ging, schmiegten sich die beiden alten Leutchen aneinander und hielten sich an den Händen. Leise hörte ich sie zu ihrem Mann sagen: „Weißt du was Klaus? Es war alles in unserem Leben wirklich sehr schön“

Was für eine Zufriedenheit!

„Jetzt nehmen sie doch die Maske ab! Ich sterbe ja sowieso.“

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Das ist mal eine klare Ansage, wie ich finde. Zugegebenermaßen etwas verlockend, denn die kratzige Maske nervt. Auch erschwert sie mir meinen Vortrag, denn ich bin gerade dabei, einer meiner liebsten Weihnachtsgeschichten zum Besten zu geben. Mit kräftiger Stimme manövriere ich mich durch die humorvolle Erzählung und kämpfe mit einer gewissen Mundtrockenheit, hervorgerufen durch die laute Plärrerei.

Es ginge normalerweise etwas gefühlvoller und in feiner Erzählstimme.

In Zeiten von Corona muss ich mir aber anders behelfen und etwas mehr Druck geben, damit mein ohnehin etwas schwerhöriges Gegenüber wenigstens ein klein wenig Weihnachtsstimmung erhaschen kann. Irgendwie komme ich mir auch ziemlich blöd vor, weil ich meine Begleitung so „anschreien“ muss und mehr mit den Händen gestikuliere als sonst.

Aber es hilft ja nichts…

Zugegeben, es strengt mich an, aber nachdem ich aktuell auf der Bühne meine Phonetik nicht anwenden kann, sehe ich es als gewisse Übung. Ok, ich rede es mir gerade schön zugegeben, aber es tröstet mich darüber hinweg, dass ich mit halbverdecktem Gesicht und im Brüllmodus einem kranken Menschen gegenübersitze, dessen Weihnachten wohl das Letzte sein wird.

Trotzdem behält sie ihren feinen Humor und beschwert sich lächelnd:“ Dieser Coronavirus ist das erste „Made in China Zeug“, dass nicht nach drei Wochen kaputt geht. Wissen Sie, es macht mir wirklich nichts aus, wenn Sie keine Maske aufhaben. Jetzt tun Sie doch das Ding runter.“

Jetzt bin ich in der Zwickmühle!

„Es gibt aber eine Maskenpflicht und die möchte ich auf jeden Fall einhalten. Außerdem möchte ich Sie nicht unwissentlich anstecken und in Gefahr bringen, an diesem Virus zu erkranken. Deswegen ist es mir lieber, den Mund-Nasen-Schutz zu tragen.“ Meine Verteidigung findet wenig Anklang. „Aber Frau Frey, es ist doch egal, woran ich sterbe. Viel Zeit bleibt mir eh nicht mehr. Dann ist es eben der Virus, oder?“

Grundsätzlich versuche ich gute Laune zu verbreiten, keine Angst zu machen, meine Begleitungen zu unterstützen und keine großen Diskussionen vom Zaun zu brechen.

Dieses Mal muss ich aber über meinen Schatten springen und meine liebe alte Dame, sie ist 89, eines Besseren belehren.

„Ich habe großen Respekt vor dem Leben und ich wünsche Ihnen und mir einen ruhigen und würdevollen Tod. Vielleicht dürfen wir ja friedlich in unserem Bett einschlafen, ohne große Schmerzen und Qual. Es könnte auch sein, dass sich der Sterbeprozess, so wie er normalerweise stattfindet, etwas hinauszögert und wir unsere liebsten Menschen händchenhaltend verabschieden. Voller Liebe und Nähe, mit guten Wünschen und zärtlichen letzten Worten. Wenn es schon sein muss, dann wünsche ich mir das.“

Sie sieht mich mit großen Augen an.

„Aber wenn Sie an diesem Virus erkranken, dann sterben Sie isoliert, ohne Kontakt mit anderen, umgeben von einem fremden Pflegepersonal, dessen Gesicht Sie nie sehen werden. Eine grausame Atemnot zwingt Sie an einem Apparat, der Ihre Sauerstoffzufuhr regelt und sie bäuchlings vermutlich als einer der Letzten Dinge in Ihrem Leben, den sterilen Klinikboden sehen.

Das wünsche ich Ihnen, mir und sonst niemanden. Und genau deswegen werde ich die Maske nicht abnehmen!“