„Zum Schluss nochmal kräftig die Arschbacken zusammenzwicken ?“

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Herrn Berger 91 Jahre, begleitete ich ambulant. Seine Frau war vor kurzem verstorben, und die Tochter pflegte ihn hingebungsvoll. Sie kümmerte sich rührend um ihren alten Herrn, der dem Ende bereits sehr nahe war.

Er wusste es. Sie wusste es.

“Wissen Sie, ich hatte ein gutes Leben, jetzt wird‘s Zeit. Ich bin so müde. Es ist schon in Ordnung, wenn ich bald zum Herrgott komme.“

     Sein Hausarzt, der ihn seit vielen Jahren behandelt hatte und seine körperliche Konstitution kannte, war allerdings dummerweise kurz vor dem herannahenden Tod seines Patienten verstorben.

Der Tod des Arztes sollte schlimme Folgen für ihn haben …

Ein junger Kollege übernahm den „Fall Berger“ und verschrieb ihm ein neues Medikament, um die bestehende Lungenentzündung in den Griff zu bekommen. Sicher hat er mit bestem ärztlichem Gewissen gehandelt, leider wusste er nicht, dass Herr Berger das Arzneimittel nicht vertrug. Die Tabletten verursachten bei ihm heftigen Durchfall.

     Der verstorbene langjährige Hausarzt hatte vor seinem eigenen Tod versäumt, einen entsprechenden Vermerk in den Patientenunterlagen einzutragen.  

Herr Berger quälte sich nun zusätzlich mit fürchterlichen Bauchschmerzen und Diarrhoe. Man kann sich sicher vorstellen, dass es für alle Beteiligten wahrlich kein Vergnügen war.

     Die Tochter wollte nur das Beste für Ihren Vater und erlaubte sich selbst nicht, das Medikament abzusetzen. Sie hoffte die Tabletten könnten das Schlimmste verhindern.

Jetzt wurde es ihm zu viel

Einen Tag später war noch immer keine Besserung in Sicht, als Herr Berger das Wort ergriff: „Sagen Sie mal, Herr Doktor, was bringen denn die Tabletten eigentlich? Mir tut schon der ganze Hintern weh?“

Der Arzt etwas zögerlich: „Vielleicht drei, vier Wochen länger.“

„Und dafür die ganze Sauerei?“

„Wenn Sie die Tabletten absetzen, dann wird die Lungenentzündung schlimmer und es könnte weniger Zeit für Sie bleiben.“

„Na, dann nehmen Sie die Tabletten aber schnell zurück. Geben Sie die mal jemanden, der noch die Arschbacken ordentlich zusammen zwicken kann. Auch wenn ich dadurch schneller beim Herrgott bin. Egal. Ich möchte nicht mit vollgeschissenen Hosen vor ihm stehen.“

…mit der Lizenz zum Händchenhalten

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„Jeder Tag ohne Zettel am Zeh, ist ein guter Tag.“ So die Antwort auf meine Frage, wie er sich denn heute fühlt. Er hat Humor. Hoffentlich. Und ich keine Ahnung. Also, keine Ahnung wie er tickt, was er denkt und wie er aussieht. Er, das ist Herr Berger, meine neue Begleitung.

Wir hatten einen unglücklichen Start, weil mir so ein verdammter, kleiner Virus dazwischengefunkt hat.

Geplant war, dass ich ihn besuche, dabei seine Frau kennenlerne und mir ein Bild von ihm machen kann, wie sein gesundheitlicher Zustand ist. Ich weiß nur, dass er zum Sterben nach Hause kommen wollte und sich Begleitung vom Hospizverein wünscht.

Dann die Ausgangssperre und das Besuchsverbot. Unser erstes Date konnte nicht stattfinden. Aber telefonisch wollte ich mich wenigstens einbringen, unterschätzte aber, dass ich am Telefon nicht das über mein Gegenüber erfahren konnte, was mir in einer Begleitung so wichtig ist.

Als Hospizhelferin im ambulanten Einsatz habe ich mir schon fast so etwas wie kriminalistische Fähigkeiten angeeignet. Ich versuche mir ein klares Bild zu von meinem Umfeld zu verschaffen. Ähnlich wie bei einer Tatortbesichtigung schaue ich mich in einem Krankenzimmer genau um. Nicht nach Staubmäusen oder ungewaschenen Gardinen. Das ist mir echt egal. Auch interessiert es mich überhaupt nicht, welche Möbel bevorzugt werden und ich bewerte auch nicht die Blümchentapete. Vielmehr ist es für mich wichtig, Merkmale zu finden, die mir die Kommunikation erleichtern. Familienbilder, Urkunden, Pokale oder auch technische Details, helfen mir ins Gespräch zu kommen. Wenn da eine Meisterurkunde von der Metzgerinnung hängt, macht es vermutlich wenig Sinn, eine Debatte über Veganer anzuregen. Bei einer anderen Begleitung empfing mich ein Hinweisschild mit dem Spruch: Ich vertraue auf die heilsame Kraft von: “Scheiß drauf!“ Das war mal ein klares Statement! Oder auch ein Teamfoto vom 1. FC Bayern gibt mir ganz klare Anweisungen… Weiß-blau ist kein Thema!

Jetzt wird’s schwierig.

Bei Herrn Berger bleibt mir nur an der Stimmlage und an der Wortwahl zu erkennen, wo die Reise hingeht. Nicht so einfach.

Mit meinem ersten Anruf brachte ich zum Ausdruck, dass es bedauere, dass wir uns zunächst nur am Telefon kennenlernen und unser persönlicher Termin nicht zustande gekommen ist.

„Das macht doch nichts Frau Frey, ich freue mich, dass sie sich melden. Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann erzähle ihm von deinen Plänen! Außerdem habe ich heute sowieso nichts vor. Ich liege hier so rum und gehe meiner Frau gehörig auf die Nerven. Aber sie ist ein Schatz, denn sie vergibt mir, selbst dann, wenn ich nichts getan habe“ Ermutigt von seinem Wortwitz wagte ich mich jetzt auf’s Glatteis: „Ich habe mir auch gründlich die Hände gewaschen und einen Mundschutz angelegt, bevor ich sie angerufen habe.“ Er lachte schallend. Mein Spürsinn für den Humor von Herrn Berger hatte mich nicht getäuscht. Bald erzählte er mir viele vertrauliche Dinge und ich bin sehr dankbar, dass ich ihn wenigstens einen kurzen Moment ablenken konnte. Bald, so hoffe ich, lerne ich ihn persönlich kennen. Aber viel Zeit bleibt uns vermutlich nicht mehr.