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Wenn ich von meiner Aufgabe erzähle, haben viele ein verzerrtes Bild von der Art und Weise, wie Sterbende sich am Ende verhalten. Hin und wieder glaube ich, die Frage meines Gegenübers zu erkennen: „Kann man sich da Krankheiten holen?“ „Ist das nicht schrecklich, einen Sterbenden zu sehen? Schon gruselig, oder?“ Da sehe ich förmlich dunkle Bilder auflodern, vom Grauen des Todes. Stöhnende, jammernde Menschen, weinende Angehörige…
Wenn ich daran denke, was ich mir früher so ausgemalt habe! Keine zehn Pferde hätten mich in ein Sterbezimmer hineinbekommen. Ich dachte, dass es ganz schrecklich sein muss. Mir wurde als kleines Mädchen immer erzählt, dass der Tod grausam und gemein ist und wir bis zuletzt kämpfen müssen. Eine Bekannte meiner Eltern erzählte mir, dass sich ihre sterbende Großtante angeblich die Zunge abgebissen und mit dem Teufel gekämpft hat. Heute bin ich mir sicher, dass es nicht so war, aber als Kind hast du da keine Wahl.
Zerrbilder spuken in den Köpfen der Leute herum, wie der Tod auszusehen hat.
Wohl auch deswegen, weil die wenigsten Menschen tatsächlich mit dem Tod in Berührung kommen wollen.
Da entwickeln viele ihre eigenen Bilder, manipuliert von der Filmwelt, in denen der Held mit schmerzverzerrtem Gesicht letzte Anweisungen gibt. Der Hauptdarsteller röchelt langsam vor sich hin, während seine große Liebe ihre Tränen auf sein geschminktes Gesicht tropft. „Du musst kämpfen, halte durch! Bleib bei mir!“ Ein letzter Blick zur Geliebten und sein Kopf sackt zur Seite…
Bei Harry Potter wird der Todesfluch „Avada Kedavra!“ ausgesprochen, was übersetzt soviel heißt wie „Sache verschwinde!“ Oh, wie passend… Das berühmte Gaunerpärchen Bonnie und Clyde geht gemeinsam sehr spektakulär über den Jordan (was in der normalen Sterbeabfolge recht selten ist). Und James Bond? Na ja, der ist eh unsterblich.
Aber da liegt doch keiner so unspektaulär im Krankenbett.
In der Fiktion gibt es nur hopp oder top, Sterben oder Held. In der Realität ist das eher selten. Da führt kein Weg daran vorbei, am Ende landen viele von uns im Krankenhaus.
Wenn ich Besuche im Hospiz mache, höre ich nicht selten, dass die Zeit in diesem wohlbehüteten Haus als besonders und wertvoll erlebt wird.
Ein Patient sagte mir kurz vor seinem Tod: „Meine Lebensqualität als Sterbender ist jetzt besser als mein Leben als gesunder, aber gestresster Manager. Ich kann jetzt im Augenblick leben.“
Auch meine Mutter sagte damals beim Einzug in das Hospiz zu mir:
„Ich wusste überhaupt gar nicht, dass es so etwas gibt!“
Wenn wir mitten im täglichen Leben stehen, meinen viele, dass wir die unterschiedlichsten Dinge benötigen, um uns zu freuen. Reisen, Klamotten, teure Autos, Schmuck und vieles mehr. Mir geht es da nicht anders. Das liegt in der Natur der Sache, dass wir mehr möchten als wir ohnehin schon haben. Wir sind ehrgeizig und neugierig. Hätten wir diesen Instinkt nicht, dann säßen wir heute noch als Steinzeitmenschen in der Höhle und würden das Feuer hüten.
Ich wünsche mir Dinge oder hoffe auf besondere Ereignisse, damit meine Welt noch glücklicher wird. Und schon gar nicht möchte ich etwas verpassen. Wenn ich dann wieder auf der Hospizstation bin und sehe mit welchen Kleinigkeiten Patienten oft überglücklich sind, wird mir bewusst, dass es mit viel weniger geht.
Es sind die einfachen Dinge, die eine ganz besondere Bedeutung bekommen, der Toilettengang, das selbstständiges Essen oder das eigenständige Aufstehen. Für mich selbstverständlich, für viele Kranke nicht mehr möglich.
Da wird mir wieder bewusst, wie gut es mir geht. Da verliert der ganze andere Kram an Wertigkeit.
Jeder möchte lange leben,aber keiner will alt werden. -Jonathan Swift-
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