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Sie zu ihm:“ Trink halt kein Bier. Das kann doch nicht gut sein.“
Er: “ Ach was, ich hab schon so viel Bier in meinem Leben getrunken, das hat mir noch nie geschadet. Am Bier liegts nicht.“
Mein neuer Patient. Herr Schreiner, 66 Jahre alt, Leberkrebs im Endstadium.
Ja, da blieben auch mir die Worte weg. Ich vermute, der hohe Alkoholkonsum hat die Geschwüre auf seiner Leber wachsen lassen oder zumindest angefeuert. Doch der Verdrängungsgedanke, dass er selbst etwas zu seiner Erkrankung beigetragen haben könnte, ist größer als die Metastasen auf seinen Organen.
Es ist schon erstaunlich wie dieser Mechanismus funktioniert.
Urteilen möchte ich darüber allerdings nicht. Wenn ich da an meine guten Vorsätze letztes Silvester denke … Ich kann ebenfalls sehr gut verdrängen. Zum Beispiel, dass ich was gegen meine Rückenschmerzen oder meinen Bauchspeck tun wollte. Sport oder zumindest etwas mehr Bewegung wäre da sicher förderlich. Aber ich bin ja bisher auch nicht sportlich gewesen. Und nach der Theorie von Herrn Schreiner, hat mir das noch nie geschadet. Da bin ich schon froh, daran liegt es also nicht. Eigentlich eine sehr angenehme Logik …
Wenn ich zu Besuch komme, dann bin ich das Highlight der Woche. So nennt mich Herr Schreiner jedenfalls immer.
Ich bin gerne bei den Schreiners. Frau Schreiner und ich kochen gemeinsam und allerdings muss ich aufpassen, dass sie das Essen nicht mehrmals nachwürzt. Manchmal vergißt sie, dass sie das bereits getan hat. Oder ich sorge dafür, dass sie nicht wieder in eine scharfe Cilli beißt wie beim letzten Mal. Als ich einen kurzen Moment nicht hinsah, hatte sie bereits die halbe Jalapeno aufgegessen, ohne dabei auch nur eine Mine zu verziehen.
Irgendwie ist immer Ostern.
Herr Schreiner ist sehr liebevoll mit seiner Frau. Letztens sagte er zu mir: “ Wissen Sie Frau Frey, meine Frau macht unser Leben direkt nochmal spannend. Sie räumt oft die verschiedensten Dinge an neue Orte. Mal liegen in der Sockenschublade die Kochlöffel, dafür finde ich die Socken dann in der Tiefkühltruhe. Genau genommen habe ich jeden Tag Ostern. Irgendwas suche ich immer.“
Wir lachen miteinander und spielen Kniffel. Das kennen sie aus früheren Zeiten. Seine Frau freut sich, wenn sie meine Würfel für mich in den Becher werfen darf. Mehr schafft sie leider nicht mehr. Eine kleine Zeit heile Welt. Gemeinsam verdrängen wir den Gedanken an den Tod und was danach wohl kommt.
Allzu gerne lasse ich mich von ihrem Verdrängungsmechanismus anstecken. Es tut gut, einfach mal so tun, als wäre die Welt in Ordnung. Nur ein paar kleine Würfel, die nichts zu bedeuten haben …
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