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Noch vor Corana-Zeiten besuchte ich einen ehemaligen Busfahrer. Er war in einer Einrichtung für „betreutes Wohnen“ untergebracht, mit Notklingelknopf, regelmäßigem Pflegebesuch und Personal für die Reinigung seines kleinen Zimmers. Ein korpulenter, kleiner Mann mit grauen Schläfen und einem fein säuberlich gezwirbelten Schnurrbart. Stets gepflegt, saß er mit einem frisch gebügelten Hemd, hochgestelltem Kragen und akkuraten Bundfaltenhosen auf seinem Sofa. Dünne Schläuche, jeweils rechts und links im Nasenloch, versorgten ihn mit dem dringend benötigten Sauerstoff. In den großen Hosentaschen deponierte er sein Schnupftuch, womit er ständig seine unablässig tropfende Nase tupfte.
Buschige Augenbrauen streckten sich mir entgegen und seine Augen glitzerten, wenn er mir von seinem längst vergangenen, aufregenden Leben erzählte.
„Bus bin ich gefahren. Nich‘so ein gewöhnlicher Bus, ne! Ich war in der ganzen Welt unterwegs und hab‘ viele Länder gesehen. Die Türkei mit ihre schöne Landschaft und der ewigen Sonne, dann die Toskana mit ihre Häuschen, braun und schön wie die Erde. Terrakotta nennt man die, glaub‘ ich, das schöne Braun. Oder hoch droben in Norden war ich auch, bei die Polarlichter. Man glaubt es ja nich, aber die sind so schön mit ihre Farben. Ah, so schön alles. Ich hab‘ alles hier gesehen. Wissen Sie, ich hab‘ so einen Reisebus gefahren und ich hab‘ es geliebt! Die Touris hatten so viel Freude mit mir und ich mit denen. Da haben wir schon so manches Schnäpschen miteinander gekippt und ’nen schönen Abend gehabt.“
Heinz Rüdiger, COPD- Patient*. Eine Diagnose, die bedeutet, dass die Lunge sich langsam verabschiedet und der atemlose Patient, mehr schlecht als recht, mit einem von außen zugeführten Sauerstoffschlauch zurechtkommen muss. Eine gruselige Vorstellung, bei regelmäßigen Anfällen fast zu ersticken und dabei gerade noch so ein bisschen am Leben zu bleiben. Ich hatte viel Empathie für ihn und ich muss gestehen, ich hatte großen Respekt vor dieser Begleitung.
Jammern kam für ihn nicht in Frage.
Mit seinem Sauerstoffschlauch in der Nase und einer Kaffeetasse in der Hand, freute er sich über jeden Besuch, damit er facettenreich von seinen vielen Reisen erzählen konnte. Er blühte förmlich auf, wenn er schilderte was für wunderbare Flecken Erde es auf dieser Welt gab, beschrieb mir ehrfürchtig die Farben und Formen verschiedenster Vegetation, das Meer und die Flüsse die er so liebte und verehrte. In vielen fremden Städten war er gewesen, erlebte viel Neues, Aufregendes und formte die Bilder in seinem Kopf nach. Seine Erinnerungen trugen ihn über Erstickungsattacken hinweg und nur wenn es ganz schlimm wurde, zog er sich ganz in die Vergangenheit zurück.
„Wissen Sie, ich hab‘ nichts anbrennen lassen, wenn Sie verstehen was ich meine. Ich hatte den Spitznamen Mister Teflon. Von die Teflonpfanne!“
Er lachte laut auf und ein freches Augenzwinkern unterstrich seinen zweideutigen Satz.
„Ich hatte viele Freunde unter die Busfahrer und auch in dem Ausland kenne ich ’ne ganze Menge an Leuten. ’Ne ganze Menge. Alle total nett.“
„Na, kann ich Ihnen ein Schnäpschen anbieten? Oder ein Stück von dem Nachmittagskuchen?“ „Nein danke, aber darf ich Sie etwas fragen?“, erwiderte ich vorsichtig. „Na klar, fragen Sie nur, müssen Sie aber schnell machen, denn soviel Zeit hab ich nicht mehr“, scherzte er makaber.
Etwas konnte ich aber einfach nicht verstehen…
„Warum haben Sie denn an Ihrem Bettschränkchen den Zettel mit der Aufschrift Bitte Glas benützen!! Welches Glas denn? Und wofür?“ fragte ich ihn.
„Ja wissen Sie, in meinem Nachtisch steht meine Schnapsbuddel und immer wenn ich nich im Zimmer bin, kommt die Putzfrau und klaut sich ’nen Schluck draus. Das is doch keine Hygiene. Die soll wenigstens ’ne Glas benützen! Wenn ich schon sterbe, dann nicht mit so ’nem Herpes an die Lippe.“
Der Teufel hat den Schnaps gemacht
Wir lachten beide, er mit deutlich weniger Atem als ich, aber nicht weniger herzlich. „Wissen Sie, Frau Frey, schon der gute alte Udo Jürgens hat gesungen ,Der Teufel hat den Schnaps gemacht’. Schätze mal, so unrecht hat er nicht. Aber was solls, dann komm ich halt in die Hölle, im Himmel kenn ich eh keinen!“
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