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„Jeder Tag ohne Zettel am Zeh, ist ein guter Tag.“ So die Antwort auf meine Frage, wie er sich denn heute fühlt. Er hat Humor. Hoffentlich. Und ich keine Ahnung. Also, keine Ahnung wie er tickt, was er denkt und wie er aussieht. Er, das ist Herr Berger, meine neue Begleitung.
Wir hatten einen unglücklichen Start, weil mir so ein verdammter, kleiner Virus dazwischengefunkt hat.
Geplant war, dass ich ihn besuche, dabei seine Frau kennenlerne und mir ein Bild von ihm machen kann, wie sein gesundheitlicher Zustand ist. Ich weiß nur, dass er zum Sterben nach Hause kommen wollte und sich Begleitung vom Hospizverein wünscht.
Dann die Ausgangssperre und das Besuchsverbot. Unser erstes Date konnte nicht stattfinden. Aber telefonisch wollte ich mich wenigstens einbringen, unterschätzte aber, dass ich am Telefon nicht das über mein Gegenüber erfahren konnte, was mir in einer Begleitung so wichtig ist.
Als Hospizhelferin im ambulanten Einsatz habe ich mir schon fast so etwas wie kriminalistische Fähigkeiten angeeignet. Ich versuche mir ein klares Bild zu von meinem Umfeld zu verschaffen. Ähnlich wie bei einer Tatortbesichtigung schaue ich mich in einem Krankenzimmer genau um. Nicht nach Staubmäusen oder ungewaschenen Gardinen. Das ist mir echt egal. Auch interessiert es mich überhaupt nicht, welche Möbel bevorzugt werden und ich bewerte auch nicht die Blümchentapete. Vielmehr ist es für mich wichtig, Merkmale zu finden, die mir die Kommunikation erleichtern. Familienbilder, Urkunden, Pokale oder auch technische Details, helfen mir ins Gespräch zu kommen. Wenn da eine Meisterurkunde von der Metzgerinnung hängt, macht es vermutlich wenig Sinn, eine Debatte über Veganer anzuregen. Bei einer anderen Begleitung empfing mich ein Hinweisschild mit dem Spruch: Ich vertraue auf die heilsame Kraft von: “Scheiß drauf!“ Das war mal ein klares Statement! Oder auch ein Teamfoto vom 1. FC Bayern gibt mir ganz klare Anweisungen… Weiß-blau ist kein Thema!
Jetzt wird’s schwierig.
Bei Herrn Berger bleibt mir nur an der Stimmlage und an der Wortwahl zu erkennen, wo die Reise hingeht. Nicht so einfach.
Mit meinem ersten Anruf brachte ich zum Ausdruck, dass es bedauere, dass wir uns zunächst nur am Telefon kennenlernen und unser persönlicher Termin nicht zustande gekommen ist.
„Das macht doch nichts Frau Frey, ich freue mich, dass sie sich melden. Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann erzähle ihm von deinen Plänen! Außerdem habe ich heute sowieso nichts vor. Ich liege hier so rum und gehe meiner Frau gehörig auf die Nerven. Aber sie ist ein Schatz, denn sie vergibt mir, selbst dann, wenn ich nichts getan habe“ Ermutigt von seinem Wortwitz wagte ich mich jetzt auf’s Glatteis: „Ich habe mir auch gründlich die Hände gewaschen und einen Mundschutz angelegt, bevor ich sie angerufen habe.“ Er lachte schallend. Mein Spürsinn für den Humor von Herrn Berger hatte mich nicht getäuscht. Bald erzählte er mir viele vertrauliche Dinge und ich bin sehr dankbar, dass ich ihn wenigstens einen kurzen Moment ablenken konnte. Bald, so hoffe ich, lerne ich ihn persönlich kennen. Aber viel Zeit bleibt uns vermutlich nicht mehr.
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